Der
Rundgang im Obergeschoß des Nordflügels im Pergamonmuseum
beginnt mit einer – in aufeinander folgenden kleineren
Kabinetten oder größeren Sälen installierten – monographischen
Präsentation einzelner Gottheiten. Darunter sind Athena,
Lieblingstochter des Zeus und für so gegensätzliche
Bereiche wie das Handwerk, den Ölanbau und den Krieg
zuständig, die Zwillinge Apollon und Artemis mit ihren
Wirkungsbereichen Musik und Jagd, die Liebesgöttin
Aphrodite oder der Wein- und Theatergott Dionysos.
Andere Götter werden in Gruppen präsentiert,
was ein bezeichnendes Dilemma der archäologischen
Forschung widerspiegelt: Fehlen einschlägige Attribute,
die für die eine oder die andere Göttergestalt
charakteristisch sind, ist eine sichere Identifizierung
häufig nicht möglich. Zu allgemein, zu standardisiert
sind nämlich die Züge der ‚Vatergottheiten’ Zeus,
Poseidon und Hades mit ihren Vollbärten und ernst
wirkenden Gesichtern oder der Muttergottheiten Hera und
Demeter mit ihren matronalen Kopfbedeckungen und Gewändern.
Gerade bei einzeln erhaltenen Köpfen oder fragmentarischen
Statuen ohne Arme und Hände ist daher eine eindeutige
Zuweisung oft nicht möglich; manche traditionelle
Benennung, die zum Teil schon seit mehreren Jahrhunderten
eingebürgert ist, wird heute mit mehr als einem Fragezeichen
versehen. Dazu kommt, daß das Erscheinungsbild der
antiken Götter in der Kunst alles andere als starr
ist, sondern in den verschiedenen Epochen von der Zeit
Homers (8. Jh. v. Chr.) bis in den Hellenismus nach dem
Tode Alexanders des Großen (4. – 1. Jh. v.
Chr.) einem ständigen Wandel unterworfen war. Marmorskulpturen
und Bronzestatuetten, Terrakotten, Vasen, Gebrauchsgegenstände
und Schmuck, viele von ihnen noch wenig bekannt und jetzt
erstmals gut dokumentiert, illustrieren eindrücklich
die Vielschichtigkeit und die enorme Wandlungsfähigkeit
der antiken Götterbilder und ihres funktionellen Kontextes.
Nach den einleitenden Sälen auf der Fensterseite
des Museumsflügels erreichen die Besucher den einige
Stufen tiefer gelegenen großen Kopfsaal. Hier wird
mit einer großen Freitreppe und einer Projektion
ein exemplarisches Heiligtum evoziert. Neben den kleineren
und größeren Architekturen, den Tempeln, Altären,
Schatzhäusern und Hallen prägten große
Mengen unterschiedlichster Weihegaben die antiken Heiligtümer,
Gaben der Gläubigen an die Götter: Es waren dies
häufig kleinformatige Darstellungen von Menschen,
Tieren, Früchten oder Geräten, abstrahierte Körperteile,
die Heilung erbitten oder für erfolgte Heilung Dank
aussprechen sollten, sowie Waffen als Symbol siegreicher,
durch die Götter begünstigter Kämpfe. Je
nach materiellen Voraussetzungen der Stifter variierten
Größe und Material, künstlerischer Aufwand
und Herkunft der Weihungen. Die allermeisten (und auch
schon die frühesten) waren in Ton oder Bronze ausgeführt.
Das Zeus-Heiligtum von Olympia mit seinen geometrischen
Bronze- und Tonvotiven des 8. Jhs. v. Chr. steht exemplarisch
für diese Praxis und ihre frühesten Belege innerhalb
der Ausstellung.
Ein weiterer Raum widmet sich dem Opfer, der Musik und
dem Fest, zentrale Elemente des Götterkultes im Heiligtum
oder häufige Begleitphänomene in seiner Nachbarschaft.
Die Übergänge zum profanen Leben sind fließend,
entsprechend stammen manche der hier gezeigten Monumente
auch aus Kontexten, deren sakraler Charakter nicht ganz
gesichert ist.
Ein eigener Raum ist dem Theater als speziellem Kultort
des Dionysos gewidmet. Ein Modell des Dionysos-Theaters
in Athen, Darstellungen von Schauspielern und der von ihnen
getragenen Masken sowie Vasenbilder illustrieren das kulturgeschichtlich
hochinteressante Phänomen der engen Bindung des Weingottes
an die Genese und Entwicklung des Bühnenspiels.
Dieses Phänomen wie alle anderen Aspekte des vielschichtigen
Gottes werden in der parallel stattfindenden Ausstellung „Dionysos – Verwandlung
und Ekstase“ im Hauptgeschoß des Pergamonmuseums
vertieft.
Die Transformation des griechischen Pantheons in der römischen
Kaiserzeit und die ‚Privatisierung’ griechischer
Heiligtümer in den Häusern und Gärten der
römischen Oberschicht werden anhand eines idealtypischen
Villengartens mit Wasserbecken, Pflanzen und reicher Skulpturenausstattung
inszeniert.
Gerade für diesen Teil der Ausstellung, aber auch
für die einzelnen Gottheiten gewidmeten Sektionen,
wurden viele Marmorskulpturen umfassend restauriert.
Neben berühmten Statuentypen wie dem sich im Wasser
spiegelnden Narkissos, dem sogenannten Dornauszieher oder
der erotischen Gruppe Satyr- Hermaphrodit werden vor allem
auch die zahlreichen Doppelhermen, Oscilla und Peltae als
charakteristische Ausstattungsgegenstände dieser römischen
Luxusambiente in Erinnerung bleiben.
Zur Ausstellung erscheint im Verlag Schnell & Steiner,
Regensburg, ein Katalog von 428 Seiten mit ca. 310 meist
ganzseitigen Farbabbildungen und 10 Schwarzweißaufnahmen
sowie englischer CD. Preis in der Ausstellung 29,90 €.
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