Aus
Dichtung und Wahrheit: Goethe über Friderike
In diesem
Augenblick trat sie wirklich in die Türe; und da ging
fürwahr an diesem landlichen Himmel ein allerliebster
Stern auf. Beide Töchter trugen sich noch deutsch, wie
man es zu nennen pflegte, und diese fast verdrängte Nationaltracht
kleidete Friedriken besonders gut. Ein kurzes weißes
rundes Röckchen mit einer Falbel, nicht länger, als
daß die nettsten Füßchen bis an die Knöchel
sichtbar blieben; ein knappes weißes Mieder und eine
schwarze Taffetschürze - so stand sie auf der Grenze zwischen
Bäuerin und Städterin. Schlank und leicht. als wenn
sie nichts an sich zu tragen hätte, schritt sie, und beinahe
schien für die gewaltigen blonden Zöpfe des lieblichen
Köpfchens der Hals zu zart. Aus heiteren blauen Augen
blickte sie sehr deutlich umher, und das artige Stumpfnäschen
forschte so frei in die Luft, als wenn es in der Welt keine
Sorge geben könnte; der Strohhut hing ihr am Arm, und
so hatte ich das Vergnügen, sie beim ersten Blick auf
einmal in ihrer ganzen Anmut und Lieblichkeit zu sehn und zu
erkennen.
(Dichtung & Wahrheit II/10, S. 433)
Friedrikens
Reden jedoch hatten nichts Mondscheinhaftes; durch die Klarheit,
womit sie sprach, machte sie die Nacht zum Tage, und es war
nichts darin, was eine Empfindung angedeutet oder erweckt hätte,
nur bezogen sich ihre Äußerungen mehr als bisher
auf mich, indem sie sowohl ihren Zustand als die Gegend und
ihre Bekannten mir von der Seite vorstellte, wiefern ich sie
würde kennen lernen: denn sie hoffe, setzte sie hinzu,
daß ich keine Ausnahme machen und sie wieder besuchen
würde, wie jeder Fremde gern getan, der einmal bei ihnen
eingekehrt sei.
(Dichtung & Wahrheit II/10, S. 435)
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