1. Weltkrieg 1914 - 1918


Im Osten Neues

Archäologie des Ersten Weltkriegs im Elsass und in Lothringen

Archäologie des Ersten Weltkriegs – Ein neues Forschungsgebiet

Die archäologische Erforschung der jüngeren Vergangenheit ist eines der neusten Gebiete der Präventivarchäologie. Sie geht auf die späten 1980er Jahren zurück, als in den nordfranzösischen Departments Picardie und Champagne-Ardennes umfangreiche Ausbauvorhaben am Autobahn- und Eisenbahnnetz durchgeführt wurden. Damit eröffnete sich der archäologischen Forschung ein völlig neues, weit gespanntes Feld, denn Nord- und Ostfrankreich waren die Schauplätze vieler Schlachten und wurden von den zahlreichen Frontlinien der verschiedenen Kriegsgegner (Franzosen, Deutsche, Briten, Kanadier usw.) durchzogen. Die archäologische Forschung hatte die Zeugnisse dieser Zeit lange vernachlässigt und sich vorwiegend für weiter zurückliegende Perioden interessiert. Zudem sind diese militärischen Fundorte aufgrund der noch zahlreich vorhandenen scharfen Munition nicht ungefährlich. Deshalb werden Grabungsarbeiten auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs heute systematisch von Minensuchern begleitet.

Bahnbrechend waren in diesem Zusammenhang die Grabungen von Yves Desfossés und Alain Jacques auf den Baustellen der Hochgeschwindigkeitstrasse für den TGV Nord, des Autobahnabschnitts A29 zwischen Amiens und Saint-Quentin und des Industriegebiets ZAC Actiparc bei Arras. Sie erbrachten den Beweis für den wissenschaftlichen Nutzen einer eingehenden archäologischen Untersuchung dieser Fundstätten aus dem frühen 20. Jahrhundert. Auch der Medienrummel um die Entdeckung des Grabes von Alain-Fournier im Jahr 1991 (der berühmte Autor des Romans „Le Grand Meaulnes“ – Der große Meaulnes – war im September 1914 in der Nähe von Saint-Rémy-la-Calonne gefallen) trug über die Einsicht in die Notwendigkeit von Erinnerungsarbeit hinaus wesentlich dazu bei, der Öffentlichkeit die historische und kulturgeschichtliche Bedeutung dieser vergessenen Zeugnisse der Vergangenheit bewusst zu machen. In Archäologenkreisen war die Reaktion auf diese Arbeiten zunächst zwar geteilt. Jedoch stießen sie einen Reflexionsprozess über das plötzlich mit einer noch nicht verjährten Geschichte konfrontierte Forschungsgebiet und die ethischen und emotionalen Fragen im Zusammenhang mit Funden aus dem Ersten Weltkrieg an. In Kolloquien und Foren (nacheinander vom Historial de la Grande Guerre in Péronne, Suippes, Arras und Caen veranstaltet) diskutierte die Fachwelt dieses neue Herangehen an die Kriegsgeschichte sowie die zahlreichen wissenschaftlichen und kulturgeschichtlichen Erkenntnisse, die aufgrund der Vielzahl der behandelten Themen gewonnen wurden.

Seit den 1980er Jahren wurde im Elsass, in Lothringen und in den Vogesen eine große Anzahl an Funden aus dem Ersten Weltkrieg zutage gefördert, oft von passionierten Hobby-Archäologen. Seit etwas 15 Jahren werden diese Standorte auch in die Planung von Präventivgrabungen einbezogen. Im Elsass wurden bei Ausgrabungen am Schwobenfeld in Geispolsheim (Dep. Bas-Rhin) und am Kilianstollen in Carspach (Dep. Haut-Rhin) sowie in Sainte-Marie-aux-Mines und in Schweighouse-Thann neue Fragestellungen aus unterschiedlichen Fachbereichen untersucht und bewährte Grabungsmethoden an den Fundstätten des Ersten Weltkriegs erprobt. Dies brachte neue Erkenntnisse über den Aufbau der Schützengräben und den Alltag von Frontsoldaten und Nachhut. Bisher wurden im Elsass und in Lothringen rund 60 Standorte mit Genehmigung und unter der wissenschaftlichen Aufsicht des Ministeriums für Kultur und der regionalen archäologischen Behörden sondiert bzw. ergraben.

Methodologische Vielfalt

Aufgrund von Vielzahl und Verschiedenartigkeit der Quellen über den Ersten Weltkrieg mag der Eindruck entstehen, über den Ablauf der Kampfhandlungen sei so gut wie alles bekannt. Französische und deutsche Archive, Kartenmaterial, Marschtagebücher sowie die offiziellen Filme und Fotografien der Armeedienststellen (oder Soldaten) konstituieren einen ebenso umfangreichen wie detaillierten Fundus.

Aus einer individuellen und eher gesellschaftlich orientierten Sicht schildern die Kriegsromane bekannter Schriftsteller (Barbusse, Genevoix, Dorgelès, Remarque, Jünger u. a.) aber auch unbekannterer, selbst am Krieg beteiligter Autoren sowie die Tagebücher und Briefe der Soldaten an ihre Angehörigen den Krieg.

Diese zahlreichen dokumentarischen Quellen will die archäologische Forschung um eine weitere Perspektive bereichern. In der Tat liefern die Grabungen völlig neue Informationen und bahnen bisher nicht berücksichtigten Forschungsgegenständen den Weg, insbesondere bzgl. des Alltags der Soldaten.

So bringt die systematische Untersuchung der Abfallgruben neue Erkenntnisse über die Versorgungsbedingungen der Fronteinheiten, die Herkunft der Produkte anhand der Herstellermarken, die konsumierten Nahrungsmittel und die landestypischen Besonderheiten. In manchen Abfallgruben hinter der Front und in Kriegsgefangenenlagern wurden zahlreiche Überbleibsel von Gegenständen gefunden, die die Soldaten selbst anfertigten und anhand derer sich die Abläufe eines diversifizierten „Schützengraben-Handwerks“ nachvollziehen lassen.

Dank der Einbeziehung verschiedener Fachgebiete in die Forschungsarbeiten können neue Themenkreise erschlossen (Fossilisationslehre, Uniformkunde, Parasitologie, Landschaftslehre u. a.) und bewährte archäologische Methoden an den Fundorten des Ersten Weltkriegs erprobt und an deren Besonderheiten angepasst werden. Die Vielfalt der vorgefundenen Materialien (Leder, Papier, Stoff, Metall u. a.) stellt für die Säuberung und Langzeitkonservierung der Fundstücke eine große Herausforderung dar.

Bei der Untersuchung von Grabstätten liefern die sehr präzisen Grabungstechniken wertvolle Hinweise zur Identifizierung von Soldaten, deren Gräber zufällig gefunden werden. Aus den so gewonnenen Erkenntnissen können die genauen Todesumstände ermittelt sowie bisher nicht bekannte Bestattungsarten abgeleitet werden.

Die archäologische Forschung im Ersten Weltkrieg

Ab Ende 1914 wurde der Boden in den Kampfgebieten durch das Ausheben Tausende Kilometer langer Schützengräben sowie durch die Einrichtung von Feldbefestigungen und Artilleriestützpunkten völlig durchwühlt. Auf dem Land und an den Stadträndern wurden Tausende von Kubikmetern Erde aufgeschüttet. Zwar konnten Historiker und Archäologen, die in den Krieg führenden Armeen als Offiziere und Unteroffiziere dienten, eine Reihe von Beobachtungen anstellen und die wichtigsten Entdeckungen festhalten. Dennoch wurden bei diesen gigantischen Erdarbeiten im Elsass und in Lothringen sowie im gesamten Frontgebiet vermutlich zahlreiche Bodendenkmäler zerstört.

Im Elsass erhielt Robert Forrer, der damalige Leiter des Straßburger Urgeschichtlichen und gallorömischen Museums, aufgrund der Neutralität, die ihm seine schweizerische Staatsbürgerschaft verlieh, und dank seiner höflichen Beziehungen zu den Behörden einen Passierschein, der es ihm gestattete, das Ausheben der Schützengräben zu verfolgen und die dabei zutage geförderten archäologischen Funde zu bergen. Auch in Lothringen wurden mehrere bedeutende Entdeckungen gemacht. Johann Baptist Keune, der Leiter des Museums von Metz, betreute die Bergung eines Hercules Saxetanus geweihten römischen Altars bei Befestigungsarbeiten in Norroy-les-Pont-à-Mousson. In Varvinay (Dep. Meuse) wurden bei der teilweisen Ergrabung einer „fränkischen“ Nekropole durch die deutschen Truppen mehrere Steinsarkophage entdeckt. Die deutschen Behörden nutzten diese Bergungsaktionen geschickt zu Propagandazwecken und rechterfertigten die Besetzung eines Gebietes, in dem germanische Gräberfelder gefunden wurden.



 
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