Straßburg / Strasbourg


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Historisches Museum - Musée Historique

 

Rundgang durch die neuen Museumsräume und Ausstellungskonzept

Im Jahr 2007 wurde im Historischen Museum Straßburg ein neuer Abschnitt zur Stadtgeschichte vom Mittelalter bis zum Ende der französischen Revolution eröffnet.

Hier erfährt der Besucher alles über Straßburgs Zeit als freie Reichsstadt, in der Johannes Gutenberg an der Erfindung des Mobilletterndrucks arbeitete und deren Drucker und Verleger wesentlich zur Verbreitung der humanistischen und reformatorischen Ideen beitrugen. Die Straßburger Blütezeit endete mit den Aufwandsgesetzen, die jedem sozialen Stand einen spezifischen Kleidungs- und Lebensstil vorschrieben und die in der Ausstellung anhand von Porträts und der Tracht der „Belle Strasbourgeoise“ veranschaulicht werden.

Nicht die Vergangenheit beherrscht uns, sondern ihre Bilder.
George STEINER, In Blaubarts Burg, Anmerkungen zur Neudefinition der Kultur, 1971

Die Reunionspolitik von König Ludwig XIV. und die Gefahr einer Belagerung des Habsburgerreiches durch die Türken führten im Jahr 1681 zur Angliederung Straßburgs an das französische Königreich.

Den Grundriss der neuen Garnisonsstadt und Festung an der Ostgrenze des Reiches hielt der Ingenieur François de Ladevèze im frühen 18. Jahrhundert in einem großen Stadtmodell fest, das nach vielen Wechselfällen der Geschichte heute Eigentum der Stadt ist und zu den Highlights des ersten Museumsabschnitts gehört. Dieser endet mit der Entstehung der Marseillaise und einer Biografie des Generals Kléber.

Sechs Jahre später, nach erfolgreicher Renovierung und Umgestaltung eines neuen Gebäudeteils für 200 000 weitere Exponate, enthüllt das Historische Museum ein weiteres Kapitel der Straßburger Stadtgeschichte mit dem Titel: „1800-1949: Symbolstadt mit wechselnder Nationalität“.

Straßburg als Mittelpunkt Europas (1800-1870).

In den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts hielten sich der französische Kaiser Napoleon, der auf dem Weg nach Deutschland war, sowie seine Ehefrauen Josephine und später Marie-Louise mehrmals in Straßburg auf. Die Stadt diente als Drehkreuz für Truppen und Kriegsmaterial und wurde von militärischen Einheiten aller Art durchquert. Letztere inspirierten die Straßburger zur Schöpfung kleiner Papiersoldaten, von denen das Museum 60 000 Exemplare, meist Soldaten Napoleons, besitzt.

Straßburgs Bekenntnis zur Revolution von 1848 und deren republikanischen Ideen brachte die Stadt um ihre Nationalgarde, die im Laufe des 19. Jahrhunderts mehrmals aufgelöst wurde.

In dieser Zeit veränderte sich auch das Gesicht der Stadt. An der heutigen Place de la République baute man ein neues Theater und nahm die langwierigen Bauarbeiten zum Anlass, es in einem Miniaturmodell zu verewigen. Die Kultureinrichtung sollte die Bürger zum Erlernen der französischen Sprache motivieren und die in der Stadt stationierten Militärangehörigen unterhalten. Um die allgemeine Kenntnis der französischen Sprache zu verbessern, gründete der Präfekt Lezay-Marnésia in Straßburg das erste, am rheinischen Modell ausgerichtete Lehrerseminar (École normale) des Landes. Hier wurde nicht nur die französische, sondern auch die deutsche Sprache unterrichtet, deren regionaler Dialekt in der Bevölkerung nach wie vor gesprochen wurde. Dennoch fühlten sich die Straßburger seit der Revolution eindeutig als Franzosen. So dichtete August Stöber: „Meine Leier ist deutsch, sie klingt von deutschen Gesängen, / Liebend den gallischen Hahn, treu ist französisch mein Schwert, / Mag es über den Rhein und über den Wasgau ertönen: / Elsass heißet mein Land, / Elsass dir pochet mein Herz.“ Auch die Universität wurde zwischen 1808 und 1810 komplett umgestaltet und umfasste fortan die fünf Fakultäten für Recht, Naturwissenschaften (Mathematik und Chemie), evangelische Theologie, Geisteswissenschaften und Medizin, zu der auch die seit dem 18. Jahrhundert berühmte Geburtshilfeklinik gehörte. Die Professoren unterrichteten auf Deutsch oder Französisch und veröffentlichten in beiden Sprachen.

Aus hygienischen Gründen wurde der Gerbergraben auf Seiten der Place Broglie und weiter bis zur Place Benjamin Zix im 19. Jahrhundert zugeschüttet. Der Unternehmer Nicolas Koechlin (1781- 1852) baute die Eisenbahnlinien Straßburg-Basel (1841) und Straßburg-Paris (1852), und mit der Fertigstellung der ersten metallenen Rheinbrücke öffnete sich für den Straßburger Zugverkehr das Tor in Richtung Kehl, Baden und Europa. Gleichzeitung wurden der Rhein-Marne-Kanal und der Rhein-Rhone-Kanal bis nach Straßburg verlängert. Die Stadt wuchs weiter, und Jean-Baptiste Rollé und Frédéric Schwilgué gründeten die spätere Konstruktionsgesellschaft SACM (Société alsacienne de construction mécanique). Doch all diesen Neuerungen zum Trotz war Straßburg noch immer eine Provinzstadt, deren Grundriss sich seit Ende des 17. Jahrhundert nicht verändert hatte.

Straßburg 1870-1918: Hauptstadt und neue Grenze

Der Deutsch-Französische Krieg im Jahr 1870 hatte für Straßburg fatale Folgen. 20 000 Männer sollten die Stadt gegen 60 000 deutsche Soldaten verteidigen; Bombenangriffe zerstörten zahlreiche Gebäude sowie die Universitätsbibliothek mit dem kostbaren Manuskript der Enzyklopädie Hortus Deliciarum. Auch das Münster wurde schwer beschädigt. Die verheerenden Angriffe gehörten zu den ersten modernen Bombardements Europas, die Opfer in der Zivilbevölkerung forderten. Nach ihrer Kapitulation im September 1870 und dem Frieden von Frankfurt 1871 wurde Straßburg zur Hauptstadt des Reichslands Elsass-Lothringen, die es bis zum Ende des Ersten Weltkriegs bleiben sollte.

Diese tiefgreifenden Umwälzungen stürzten die Elsässer in eine dauerhafte Identitätskrise. Sollten sie in der Heimat verharren oder nach Frankreich ziehen, um die französische Staatsangehörigkeit behalten zu dürfen? Die Entscheidung war keineswegs leicht. Und wer sich zum Bleiben entschloss, stand vor weiteren Fragen: Sollte man mit der neuen Regierung zusammenarbeiten, um die Interessen des Elsass zu verteidigen (Standpunkt der Autonomisten) oder sich zwar wählen lassen, als Ausdruck von Frankreichtreue und Ablehnung gegen das neue Regime jedoch auf den Parlamentssitz verzichten (wie es die Protestbewegung verlangte)? Letzteres barg das Risiko, den Deutschen in die Hände zu arbeiten und die Belange der Elsässer erst recht nicht vertreten zu können.

Da nun viele Deutsche nach Straßburg kamen, um wichtige Posten in der Verwaltung, im Militär (die Garnison war die größte in Deutschland) oder an der neuen, außerhalb der Altstadt gelegenen Universität anzunehmen, musste die Stadt vergrößert werden. Der Ausbau nach den Plänen des Straßburger Stadtplaners Jean-Geoffroy Conrath wurde 1880 urkundlich festgehalten und umfasste eine neue Verkehrsachse, die von der Place Broglie aus der Altstadt hinausführte, den Bau des Kaiserpalasts (heute Palais du Rhin), der Universitätsbibliothek und des Landesausschusses (heute TNS) rund um die heutige Place de la République sowie eine Prachtstraße (heute Avenue de la Liberté), welche die Place de la République mit dem Universitätsgelände verband. Die Universität mit ihren modern ausgestatteten Fakultäten zog brillante junge Professoren an, darunter viele spätere Nobelpreisträger wie Wilhelm Conrad Röntgen.

Mit der Erweiterung vergrößerte sich die Grundfläche der Stadt um mehr als zwei Drittel. Rund um die breiten Alleen im Norden und Osten (heutige Neustadt) entstanden neue Wohnviertel. Für die breite Verkehrsachse (Rue du 22 Novembre), die ab 1911 mitten durch die Altstadt führte, wurde ein Teil der Bevölkerung in das nach dem Gartenstadt-Prinzip errichtete Viertel Stockfeld umgesiedelt.

Dieser Große Straßendurchbruch wurde bis zum Vorabend des Zweiten Weltkriegs bis zur heutigen Place de la Bourse fortgesetzt.

Während des Ersten Weltkriegs lag Straßburg im Fronthinterland. Die Straßburger wurden (wenn sie das Elsass nicht schon zu Beginn des Konflikts verlassen und sich wie Pierre Bucher auf französischer Seite verpflichtet hatten) in die deutsche Armee einberufen und meist an die Ostfront verschickt, denn das Misstrauen gegenüber den Einheimischen war auch nach 48 Jahren deutscher Herrschaft noch nicht ganz geschwunden und brandete in diesem Konflikt wieder ganz besonders auf.

Eine Sonderausstellung in der Galerie Heitz, die im Rahmen eines europäischen Interreg-Projekts mit Beteiligung des Historischen Museums entstand, wird sich im Jahr 2014 mit den Schicksalen dieser Straßburger beschäftigen.

Während des Krieges führte der weitsichtige Straßburger Bürgermeister Rudolf Schwander ein Lebensmittelkartensystem ein, das die gerechte Verteilung der knappen Lebensmittelressourcen ermöglichte. Nach Kriegsende bildeten sich in der Stadt für kurze Zeit Arbeiter- und Bauernräte.

Wenig später wurde die französische Armee mit Begeisterung empfangen, was in den Augen des französischen Premierministers Raymond Poincaré ein Volksbegehren ersetzte.

1918-1939: Straßburg wird wieder französisch.

Nach Ende des Ersten Weltkriegs nahm man viele der vor 1918 begonnenen Bauarbeiten wieder auf.

Es entstanden Sozialwohnungen wie die Cité Ungemach im Wacken-Viertel und der Port autonome mit neuen Hafenbecken und Lagerhäusern. Der Autohersteller Mathis wuchs mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und war bis 1939 einer der wichtigsten Arbeitgeber der Stadt.

Zeitgenössische Modelle, ein Auto vom Typ Torpedo und Werbeanzeigen für Autoteile aus dem Hause Mathis zeugen von seinen Errungenschaften.

Die Eliteuniversität setzte ihren Betrieb fort, diesmal jedoch mit französischen Professoren, die ihren Pariser Kollegen gleichgestellt waren. Man gründete neue Universitätszeitschriften, darunter die Historikerzeitschrift Revue des Annales von Marc Bloch und Lucien Febvre. Vor dem Universitätsgebäude, wo die Deutschen vor 1914 dem Dichter Johann Wolfgang Goethe eine Statue errichtet hatten, erinnerten die Franzosen nun mit einem Denkmal, von dem ein Teilstück im Museum zu sehen ist, an die Straßburger Tage des Wissenschaftlers Louis Pasteur.

Das Französische wurde wieder Pflichtsprache, offizielle Dokumente waren jedoch nach wie vor in beiden Sprachen verfasst. Da sich die Sozialgesetzgebung (Krankenkasse und Rente) im Elsass anders entwickelt hatte als im restlichen Frankreich, wurde ein Ortsrecht (droit local) eingeführt, das die sozialen Errungenschaften aus der deutschen Herrschaftszeit bewahrte. Einige Missgriffe und die Entdeckung einer französischen Region, in der man vorwiegend „anders“ sprach, riefen dennoch eine Welle des Unbehagens hervor, die zur Entstehung autonomistischer, bisweilen von deutscher Seite unterstützter Tendenzen führte.

Unter der Naziherrschaft: 1939-1944.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde die Straßburger Bevölkerung in die Dordogne evakuiert, und im September 1939 verlegte man die Universität nach Clermont-Ferrand und das Hôpital Civil nach Clairvivre. Nach Unterzeichnung des Waffenstillstands forderte die Vichy-Regierung die Elsässer – abgesehen von Patrioten, französischen Beamten und Juden – zur Rückkehr auf. Die Heimgekehrten litten wenig später unter der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft und wurden noch strenger überwacht als die Bürger im Deutschen Reich.

Obwohl das Elsass im Waffenstillstandsvertrag nicht erwähnt worden war, wurde die Region nun zwangsannektiert. Straßburg wurde während des Krieges erst von den Alliierten und dann von den Deutschen bombardiert, die immerhin das Münster verschonten. In der Ausstellung werden die Kriegshandlungen in Straßburg unter verschiedenen Aspekten beleuchtet, und in einem gesonderten Bereich wird erklärt, worüber die Elsässer in jener Zeit (nicht) entscheiden durften und mussten.

Zurück zu Frankreich Im November 1944 befreite General Leclerc die Stadt in einer waghalsigen Aktion. In mehreren Schlachten zwischen Gambsheim und Killstett wurde Straßburg im Januar 1945 vor einer erneuten Besetzung bewahrt.

Europahauptstadt Straßburg.

Wenige Jahre nach der Befreiung wurde Straßburg als Sitz des Europarates und Standort weiterer europäischer Institutionen und deutsch-französischer Einrichtungen zur Europahauptstadt. Einige Möbelstücke, eine Richterrobe und ein Modell von Gaetano Pesces symbolträchtiger „Europabrücke“ über den Rhein zeugen von der Rolle, die Straßburg im heutigen Europa spielt.

Ist die Geschichte der Grenzstadt Straßburg wirklich einzigartig? Ja und nein – am Ende des Rundgangs kann der Besucher das Schicksal Straßburgs mit dem anderer europäischer Städte vergleichen, die in ihrer Geschichte mit ähnlichen Situationen konfrontiert waren.

     
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