22.1.2021

Schloss Mannheim

„Fremde bei Hofe“: Spuren im Schloss der pfälzischen Kurfürsten

(ssg) Auf Menschen aus fernen Ländern, die an den Höfen lebten, macht ein „Digitales Werkstattgespräch“ der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg am 18. November aufmerksam. Die wenigsten von ihnen kamen vom 17. bis hoch ins 19. Jahrhundert freiwillig nach Südwestdeutschland. Viele waren Kriegsgefangene – und viele waren, mit heutigen Begriffen: Sklaven. Dass sich die Spuren dieses problematischen historischen Phänomens überall in den Schlössern und deren Geschichte gut sichtbar finden lassen, zeigt sich auch bei einem Rundgang in Schloss Mannheim.

Ein Themenfeld, das bisher wenig wahrgenommen wurde

„Fremde bei Hof“ so lautet der Titel der digitalen Veranstaltung am 18. November. „Hofmohren“ oder „Kammertürken“ – sie lebten im Umkreis der Höfe, nach Europa gekommen durch die sogenannten „Türkenkriege“ und durch die Entwicklung der kolonialen Wirtschaft. Michael Hörrmann, der Geschäftsführer der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, und der zuständige Konservator Cem Alaçam, richteten bei ihrem Rundgang in Schloss Mannheim den Fokus auf die Hinweise, die dieses historische Phänomen in den Schlössern der Kurpfalz hinterlassen hat.

Anton Schoonjans: Ganzbild der Kurfürstin Anna Maria Luisa de'Medici, der Gemahlin des Kurfürsten Johann Wilhelm. Foto: SSG / sa_bstgsDetail aus dem Porträt der Kurfürstin: Dunkelhäutiger Diener mit HalsreifWandteppich aus der Neu-Indien-Serie. Foto: LMZ/SSGAnton Schoonjans: Ganzbild der Kurfürstin Anna Maria Luisa de'Medici, der Gemahlin des Kurfürsten Johann Wilhelm. Foto: SSG / sa_bstgs

Detail aus dem Porträt der Kurfürstin: Dunkelhäutiger Diener mit Halsreif.

Wandteppich aus der Neu-Indien-Serie. Foto: LMZ/SSG

Geschäftsführer Michael Hörrmann: „Wir haben überall in den Monumenten die Hinweise auf das historische Phänomen: Die Kunstwerke und Bauten tragen ganz konkrete Spuren. Wir werden in nächster Zeit beispielhaft nach den Menschen suchen, deren Biographien dahinterstehen. Und diese Übertragung wird es uns möglich machen, künftig auch diesen Teil der Geschichte in der Vermittlung lebendig und anschaulich werden zu lassen und aus der Theorie in die Realität zu holen.“ Die Staatlichen Schlösser und Gärten präsentieren schon länger nicht nur die Seite der Herrscherinnen und Herrscher: Wie Dienstboten in den Schlössern lebten und arbeiteten, gehört etwa in vielen Monumenten längst zum Programm der Führungen.

Menschen als kriegsbeute

Der Rundgang begann im berühmten Treppenhaus und im Rittersaal von Schloss Mannheim – dem Herzstück der kurfürstlichen Repräsentation. Die feingliedrigen Stuckbilder im Treppenhaus und im Rittersaal enthüllen beim näheren Hinsehen ihren historischen Hintergrund: Es geht um den Kriegsruhm des Schlossherrn Kurfürst Carl Philipp. Kriegstrophäen weisen auf die militärische Laufbahn des Kurfürsten hin. Er sammelte seinen Ruhm in den sogenannten Türkenkriegen – und die dargestellten Motive sind denn auch ein Krummsäbel oder ein Turban. Weniger bekannt ist, dass die Kurpfälzer – wie alle am Krieg gegen die Osmanen beteiligten Fürsten – menschliche Kriegsbeute aus den „Türkenkriegen“ mitbrachten oder als „Geschenk“ bekamen. Einige von ihnen lebten im Umfeld des Herrschers.

Seidene Wand-Teppiche enthüllen ihre Geschichte

Berühmt ist Schloss Mannheim für die kostbaren Tapisserien der „Neu-Indien“-Serie. Die paradiesischen Motive zeigen, bei näherer Untersuchung, Motive aus Brasilien. Auf den dortigen Plantagen der niederländischen Westindien-Kompanie wurden begehrte Waren wie Tabak, Baumwolle oder Zuckerrohr angebaut. Eine der Tapisserien zeigt im Hintergrund eine Zuckerrohrpresse. „Die grandiosen Tapisserien entpuppen sich bei näherer Betrachtung als Bildzeugnisse der kolonialen Geschichte,“ erläutert Konservator Alaçam: Auf den Feldern setzten die Kolonialherren afrikanische wie auch indigene Sklaven ein. Seit dem 17. Jahrhundert waren der Zuckerrohr- und der Sklavenhandel untrennbar ineinander verwoben:

Ein dunkler Diener mit halsband

Nächste Station der Spurensuche in Schloss Mannheim ist ein offizielles Porträt der Anna Maria Luisa de Medicis vom Beginn des 18. Jahrhunderts. Die Gattin des Kurfürsten Johann Wilhelm wird begleitet von einem jungen Diener von dunkler Hautfarbe. Bei der näheren Untersuchung zeigte sich: Der Begleiter trägt ein Halseisen. Der Metallring um seinen Hals ist ein Hinweis auf seinen ehemaligen Sklavenstatus und vielleicht ein Indiz dafür, dass er zum Besitz der Kurfürstin gehörte. „Ob es sich bei dem Diener auf dem Porträt der Kurfürstin Anna Maria Luisa um eine reale Person oder eine idealisierte Figur handelt, wissen wir nicht“, erklärt Cem Alaçam. „Sicher ist aber: An vielen Höfen – auch am kurfürstlichen Hof der Zeit – lebten Menschen, die aus eroberten Ländern stammten. Und sehr viele waren nicht freiwillig an die Höfe gekommen.“

Fremde Menschen als Teil einer Mode

Als die Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg das Jahr 2021 unter das Jahresthema „Exotik“ stellten, ging es zu Beginn vor allem um die kulturellen Schätze, die aus fremden Ländern an europäische Höfe kamen: Seide, Porzellan und Lack, exotische Früchte, Genussmittel wie Kaffee, Tee und Schokolade. Schnell aber erweiterte sich der Blick. Konservator Alaçam: „Die Begeisterung für alles Exotische führte bald dazu, dass man auch passendes Personal an den Höfen haben wollte. Daraus entwickelte sich seit dem späten 17. Jahrhundert die Mode, auch fremde Menschen, vor allem „Türken“ und „Mohren“, an die Höfe zu ziehen, um sie dort als „Exoten“ zu inszenieren.

Wandel im Bewusstsein

Seit die Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg ihren Blick auf dieses historische Phänomen gerichtet haben, tauchen immer mehr solcher Biografien aus dem Dunkel auf – auch am kurpfälzischen Hof. Als Beginn der wissenschaftlichen Aufarbeitung haben die Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg jetzt das Werkstattgespräch aufs Programm gesetzt. In hochkarätig besetzten Gesprächsrunden widmet sich die digitale Veranstaltung am 18. November den „Fremden bei Hofe“.

Werkstattgespräch mit hochkarätiger Besetzung

Das digitale Werkstattgespräch am 18. November macht dabei den Anfang. In Gesprächen mit Gästen aus der Forschung wird es um das Thema der „Fremden bei Hofe“ gehen. Die Veranstaltung soll unter anderem der Frage nachgehen: Was wissen wir heute über diese Menschen, die aus unterschiedlichsten Regionen der Erde an die europäischen Höfe kamen? Die Gesprächsrunden sind hochkarätig besetzt – unter anderem mit Rebekka von Mallinckrodt, Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Bremen und maßgeblich an dem ERC-Projekt „German Slavery“ beteiligt. Sie ist eine der Herausgeberinnen einer der maßgeblichen jüngeren Publikationen zum Thema. Die digitale Werkstatt wird ergänzt durch den Film „Angelo“ von Markus Schleinzer über einen der berühmtesten Hofmohren Europas. Er liefert ein anschauliches Beispiel, wie es gelingen kann, diese historischen Biografien künstlerisch aufzuarbeiten.

HASSAN, FATME, FEODOR
Fremde Menschen an deutschen Höfen
Digitales Werkstattgespräch und Filmpräsentation

Online-Veranstaltung
Donnerstag, 18. November 2021, 15.30 bis 21.30 Uhr
kostenfrei
Moderation Meinhard Schmidt-Degenhard

Podiusmgäste
Dr. Anne Kuhlmann-Smirnov
Holger Schuckelt
Rebekka von Mallinckrodt
Dr. Mithu M. Sanyal
Olaf Zimmermann
Markus Schleinzer

Anmeldung über das Kontaktformular auf der Internetseite der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg www.schloesser-und-gaerten.de.

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