Per Postkarte wurden nicht mehr nur malerische Stadtansichten
verschickt, sondern man konzentrierte sich auch auf einzelne Motive
der Architektur der Zeit. Die Architekten und Fotografen entdeckten
die Ansichts-Postkarte als schnelles und preiswertes Info-Medium,
um das Bild vom "Neuen Bauen", ein schon in den 1920er Jahren
verbreitetes Schlagwort, werbewirksam in die Welt zu tragen. Es
entstand in kurzer Zeit der wohl umfangreichste und noch weitgehend
unbekannte Bilderschatz der Modernen Architektur.
Großen Anteil an der wohl kalkulierten Wirkung der gebauten Visionen
hatten vor allem die Fotografen des "neuen Sehens", deren "Kamera-Auge"
die Häuser, Siedlungsbauten, Fabriken und Hochhäuser als strahlende
Kuben und menschenleere Großplastiken inszenierte. Diese Fotografien,
abge-druckt in Zeitschriften, Zeitungen oder Büchern - und eben
auch auf der Postkarte, manifestierten eine oft bis heute gültige
Sicht auf die Architektur der Avantgarde.
Die Publikation moderne grüße präsentiert erstmals eine Auswahl
aus der umfangreichen Privatsammlung von Bernd Dicke, deren reicher
Schatz an historischen Architektur-Postkarten der Zeit von 1919-1939
ein authentisches Bild der architektonischen Avantgarde zwischen
expressionistischer Emphase und "befreitem Wohnen" in der "Weißen
Moderne" entwirft. Der Betrachter wird auf einer "Reiseroute"
von Süden nach Norden durch Deutschland und bis nach Breslau geführt,
sowohl zu weltberühmten Bauten der Moderne als auch zu weniger
bekannten oder nie gesehenen Ansichten von Krankenhauszimmern
und Nachtlokalen, Verwaltungsbauten, Großsiedlungen und Ausstellungspavillons.
Es sind namhafte Architekten wie Erich Mendelsohn, Le Corbusier,
J.J.P. Oud, Hans Scharoun, Gustav Adolf Schneck, Wilhelm Riphahn,
Peter Behrens vertreten wie auch zahlreiche Fotografen.
Der Band ist eine Reminiszenz an eine Zeit, in der ein Bild gewissermaßen
noch als Bild gelten konnte, und nicht von einer Flut andersartiger
Eindrücke begraben wurde. Insofern ist dem einleitenden Satz
von Rolf Sachsse im kommentierenden Aufsatz zu widersprechen.
Der Mitteilungswert von Bildpostkarten ist nicht gering, sondern
eher hoch. Hoch, insofern sie Ikonen von räumlicher Befindlichkeit
und von Besonderem übermitteln. Sachsse kommentiert in einem
zweisprachigen (engl./dt.) Text auf 15 Seiten die Sammlung und die
Auswahl im Band fundiert und fachlich kompetent. Literaturverzeichnis
und Namensregister schließen den Band ab.