Kunstwerk des Monats
Juli 2007
Sammlungsblatt

Grenzstein No. 2 Studentenjagd

 

Am 7. Oktober 1649 zog Kurfürst Karl Ludwig (1617-1680), Sohn und Erbe des glücklosen Winterkönigs, in Heidelberg ein, die Stadt, in der er im Dezember 1617 geboren wurde und die er als zweijähriges Kind zusammen mit seinen Eltern und dem Hof in Richtung Prag verlassen hatte. Jetzt, nach dem Dreißigjährigen Krieg, glichen seine Regierungslande einer wilden Tundra. Die Felder waren mit Dornengestrüpp überwuchert, die Weinberge zerstört, und überall stieß man auf kärgliche Hütten, in denen Armut und Elend, Raub und Verbrechen herrschte. Die Verluste unter der Bevölkerung betrugen nach vorsichtigen Schätzungen an die 70 Prozent, und die Überlebenden waren durch Krieg, Plünderung und mehrfachen Glaubenswechsel in einem Zustand, der es schwer machte, diese Menschen wieder an friedliche Zustände zu gewöhnen, geschweige denn den notwendigen Wiederaufbau der Pfalz in Gang zu bringen.

Mit Steuervergünstigungen lockte der Kurfürst die ausgewanderten Pfälzer, aber auch Landeskinder aus den angrenzenden Territorien in die menschenleeren Ortschaften und Städte zurück, indem er sich auf das alte "Wildfangrecht" der Pfalzgrafen berief. Großzügig förderte er den Handel und ging selbst durch eine äußerst sparsame Hofhaltung mit gutem Beispiel voran, so dass in Stadt und Land bereits nach wenigen Jahren die Schäden des Dreißigjährigen Kriegs wieder wettgemacht waren.

Am 1. November 1652 konnte die Universität wie im Gründungsjahr mit nur drei Professoren wiedereröffnet werden. Bald wurden neue Lehrkräfte hinzugewonnen, und der Kurfürst schrieb vor, dass die Professoren nach dem Vorbild anderer Universitäten Talare tragen sollten. Die Kosten für die "absonderlich langen schwarzen röckhe", sowie ihre Erneuerung alle sieben Jahre übernahm die Staatskasse. An die Studenten erging die allgemeine Ermahnung, " sich aller üppiger, muthwilliger und ihnen übel anstehender tracht und kleidung gänzlich ab(zu)thun!". Vor allem die Theologen sollten auf modische Kleidung verzichten und das Geld "zu erkauffung guter bücher" verwenden. Die Universität erhielt auf Anweisung des Kurfürsten ein Personal- und Vorlesungsverzeichnis, und die Studenten mussten nicht mehr ausschließlich in den Bursen, sondern konnten überall in der Stadt wohnen. Die Vorschrift, selbst beim alltäglichen Gespräch die lateinische Sprache zu benutzen, entfiel.

Einer weiteren Maßnahme zur Erhöhung der Studentenzahlen in Heidelberg verdanken wir den kuriosen Grenzstein "No 2 Studentenjagd". Am 28. Dezember 1655 erlaubte der Kurfürst den Heidelberger Studenten, zwischen Rohrbach, Nußloch und Leimen sowie von Handschuhsheim bis nach Schriesheim "zu ihrer ergötzlichkeit mit Rohren dem kleinen Weidwerck nachzugehen und zu schießen, doch mit dem austrücklichen Bedingen, daß es außerhalb Fasten und Herbstzeit von Ihnen geschehe, und sie durchauß nicht einiger Hunden, Garn und Stricken sich darzu gebrauchen."

Mit der Aushändigung eines Jagdscheins an den akademischen Nachwuchs zusammen mit der Immatrikulation verband der Kurfürst vor allem die Hoffnung, die Heidelberger Universität für vermögende Studenten aus den Ausland wieder attraktiver zu machen. Allerdings behielt der Nachfahre des "Jägers aus Kurpfalz" das landesherrliche Jagdregal, "zu Jagen wie es ihm gefällt", fest in eigenen Händen und erlaubte den Studenten nur die Jagd auf das so genannte Niederwild, in erster Linie Hasen, Kaninchen und Rehe. Denn neben dem Verbot des Gebrauchs von Hunden und Netzen fällt auf, dass sich das Jagdrevier der Studenten ausschließlich auf die Feldflur, nicht aber auf den jagdlich weit interessanteren Wald erstreckt, wo sich das so genannte Hochwild, der edle Hirsch und das kapitale Wildschwein, aufhält.

Fünf Jahre später, am 21. Februar 1671, löste Karl Ludwig das südlich des Neckars liegende Jagdrevier zwischen Rohrbach und Nußloch wieder auf und entzog auch den Theologen und Medizinern, "als welche beide Professionen sich zu solchem Weydwerk nicht wohl schicken", ihr Privileg. Beibehalten wurde allein ein zwischen Handschuhsheim und Schriesheim verkleinertes Jagdrevier, damit die Studiosi und Kavaliers dort "zu ihrer Ergotzlichkeit mit Rohren das kleyne Weidtwerck treiben!" Die Studentenjagd wurde unter den Kurfürsten Karl Philipp und Karl Theodor ausdrücklich bestätigt. Ab 1746 durften auch die Theologen und Mediziner wieder jagen. Anno 1790 ließ Kurfürst Karl Theodor das Jagdrevier der Studenten mit neuen Grenzsteinen ausmarken, was der im Lapidarium aufgestellte Grenzstein (Inv. Nr. PIG 82) bezeugt. Im Burghof der Tief bürg in Handschuhsheim wurden in einer Fensternische an der südlichen Wehrmauer zwei weitere Steine dieser "Studentenjagd" eingemauert. Sie standen vorher am Stupfeigarten, Ecke Dossenheimer Landstraße und Mühlingstraße, und auch in Dossenheim hat man einen solchen Jagdstein nachträglich zur Erinnerung am Bach, in der Nähe vom Gasthaus zum Schwanen, eingemauert.

Frieder Hepp

 

Literatur:
Hermann Wirth: Jagdrecht der Studenten 1655 und 1671, in: Archiv für die Geschichte der Stadt Heidelberg 1,1868, S. 61 f.
Frieder Hepp: "gar lustig ist die Jägerei!". Die Jagd in der Kurpfalz im 17. und 18. Jahrhundert, in: "...sonst wird dich der Jäger holen." Die Jagd: Vergnügen und Verderben. Heidelberg 1999, S. 63 - 84.
Hepp, Frieder, Steinerne Zeugen der Stadtgeschichte. Ein Blick in das Lapidarium des Kurpfälzischen Museums, in: Verstehen und Vermitteln, hg. von Uwe Uffelmann u. Manfred Seidenfuß, Idstein 2004, S. 205 - 222.

 

Sandstein, 175 x 35 x 26 cm, Handschuhsheim 1790, später Hirschgasse,
Inv. Nr. PIG 82

 
 
siehe auch:

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