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Geschichte der Forschung

Mädchen an einer Grabsäule, Myrina um 130/100 v. Chr.So genannter Panzertorso (Krieger mit Rüstung) von der Athener AkropolisPorträt des Caligula verso FarbrekonstruktionEigentlich konnte man es immer schon nachlesen: Die großen Schriftsteller der griechischen und römischen Antike berichten in aller Klarheit und Selbstverständlichkeit von den farbigen Figuren. Der Tragödiendichter Euripides (ca. 480–406 v. Chr.) wählt die farblose Marmorskulptur als Bild außerordentlicher Hässlichkeit. Als durch die Schönheit einer Frau der Trojanische Krieg ausgelöst wird, sagt Helena zu sich: Wäre ich doch immer so hässlich gewesen wie eine Statue, der man die Farbe abgewischt hat, wäre nicht dieses Leid über die Menschen gebracht worden.

Dass die Tatsache der „bunten Antike“ in der Geschichte der Archäologie und Kunstgeschichte jedoch stark umstritten war, davon zeugen ebenfalls zahlreiche Quellen. „So wird auch ein schöner Körper desto schöner sein, je weißer er ist“, schrieb der berühmte deutsche Archäologe und Kunsthistoriker Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) in seiner 1764 erschienenen „Geschichte der Kunst des Alterthums“ und erhob damit das reine Weiß zum Schönheitsideal der Antike.

Winckelmanns Ansichten beeinflussten die Kunst des 19. Jahrhunderts und prägen unsere Vorstellung griechischer und römischer Kunst bis heute. Dabei konnten bereits zu Anfang des 19. Jahrhunderts Forscher bei archäologischen Ausgrabungen in Athen und Rom eindeutige Farbreste an zahlreichen Marmorfiguren entdecken. Johann Martin von Wagner (1777–1858), Maler, Bildhauer und Kunstagent des bayerischen Kronprinzen und späteren Königs Ludwig I., reiste in dessen Auftrag 1812 nach Griechenland, um dort die kurz zuvor aufgefundenen Giebelskulpturen des Aphaia-Tempels von Ägina zu erwerben. 1815/16 verfasste er eine Beschreibung der farbigen Skulpturen. Allerdings zeigte er sich ganz im Sinn Winckelmanns eher schockiert und wunderte sich über den „scheinbar bizarren Geschmack“, den er als „barbarische Sitte und ein Überbleibsel aus früheren, rohen Zeiten“ beurteilte.

Mädchen an einer Grabsäule, Myrina um 130/100 v. Chr.
Ton mit Farbfassung, Höhe 31 cm
Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main
Foto: Rühl & Bormann

Porträt des Caligula verso Farbrekonstruktion
Ny Karlsberg Glyptothek, Kopenhagen
Foto: Ny Karlsberg Glyptothek, Kopenhagen

So genannter Panzertorso (Krieger mit Rüstung) von der Athener Akropolis
Farbrekonstruktion des griechischen Marmororiginals von ca. 470 v. Chr.
Foto: Dieter Rehm
2005 Vinzenz Brinkmann & Ulrike Koch-Brinkmann, Sylvia Kellner

Aber nicht nur schriftliche Dokumente zeugen von der Farbigkeit antiker Skulptur. Mit großer Genauigkeit wurden die Spuren der einstigen Bemalung auch in Zeichnungen und Aquarellen festgehalten. Ein großer Verdienst kommt hier der in Griechenland ansässigen Schweizer Künstlerfamilie Gilliéron zu, die seit ca. 1870 Zeichnungen antiker Skulpturen anfertigte. Das Liebieghaus besitzt glücklicherweise eine Reihe von Aquarellen von Emile Gilliéron, die nun im Rahmen der Ausstellung gezeigt werden. Überzeugte Anhänger antiker Polychromie fanden sich auch unter den Architekten: Gottfried Semper (1803–1879), der bei einer Reise durch Italien und Griechenland von 1830 bis 1833 selbst Untersuchungen an farbigen Bauten und Skulpturen vorgenommen hatte, wurde zu einem der bedeutendsten Verfechter der Polychromie und ließ z. B. die Antikensäle im Japanischen Palais in Dresden farbig bemalen. Auch Leo von Klenze (1784–1864) gestaltete unter anderem im Auftrag seines Bauherrn, König Ludwigs I., die Innenräume der Glyptothek in München prachtvoll bunt und bezeichnete sich selbst als „Euer Majestät polychromatischer Sekretär“.

Bis zum Ausbruch des II. Weltkriegs wurde die Diskussion über die Farbigkeit der Antike teilweise heftig fortgeführt, wobei sich im 20. Jahrhundert zunehmend die Schönheit der reinen und reduzierten Form durchsetzte. Erst in den 1960erJahren begannen Wissenschaftler wieder die Farbigkeit mit neuen technischen Methoden zu erforschen. Seit über 25 Jahren untersucht und dokumentiert ein internationales Forscherteam um Prof. Vinzenz Brinkmann mit naturwissenschaftlichen Techniken die Farbigkeit antiker Skulptur. Wurden vor knapp 200 Jahren die Farbspuren noch mithilfe von Probenentnahmen analysiert, können heute die meisten Analysen durch digitale Verfahren erstellt werden. Mit der RamanSpektroskopie und der UVVisAbsorptionsspektroskopie werden in kurzer Zeit zahlreiche Pigmentreste bestimmt, ohne das Original zu berühren. Die neuen Forschungen haben zudem in großem Umfang von den Möglichkeiten der technischen Fotografie profitiert, vor allem von der UVFluoreszenzfotografie und der UVReflektografie, mit der selbst an Stellen, an denen sich keine Pigmente erhalten haben, die einst aufgemalten Ornamente aufgrund chemischer und mechanischer Veränderungen der Steinoberfläche wieder sichtbar gemacht werden können.

Alexandersarkophag, Reitender Alexander, Langseite

Alexandersarkophag, gesamte Schmalseite Perserkampf

Die Ausstellung im Liebieghaus machte anhand von über 30 detailreichen farbigen Rekonstruktionen und 70 ausgewählten Originalexponaten aus internationalen Sammlungen sowie aus dem Bestand des Liebieghauses die Ergebnisse der wissenschaftlichen Polychromieforschung für den Betrachter sichtbar und belegte in beeindruckender Weise die Bedeutung der Farbe für die antike Skulptur.

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