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Vom Duell zum Duo

Satirische Bilder des deutsch-französischen Paars von 1870 bis heute

Rundgang durch die Ausstellung

Sektion 1:1870 bis 1945: Neue Formen der bildnerischen Fantasie
In den Jahren von 1870 bis 1945 herrschten die kriegerischen Auseinandersetzungen und dazwischen die kriegerischen Töne, und entsprechend schufen die deutschen und die französischen Illustratoren ein Bildrepertoire, das den Erbfeind postulierte und die nationalen Gegensätze betonte. Bis zum Ersten Weltkrieg sind die beiderseits des Rheins erscheinenden Zeichnungen, ob nun in L’Assiette au beurre, La Baïonnette, Le Charivari oder in Fliegende Blätter, Kladderadatsch, Simplicissimus, ein getreuer Spiegel dieser Entwicklung. Kriegslüstern und revanchistisch, bei weitgehend gemeinsamen grafischen Verfahren und Themen, so handeln diese Karikaturen vom Tod oder von den führenden Köpfen der Gegenseite.
Die allegorischen Karten von Europa, ob in die Tierwelt versetzt oder anthropomorph durchgestaltet, sind seit dem 19. Jahrhundert in Mode und stellen ebenfalls eine satirische Grundform dar.

Lucien-Marie-François Métivet (1863-1932) Marianne et Germania, Geschichte einer Mütze und eines HelmsNach dem Ersten Weltkrieg erscheinen andere ikonografische Themen. Antimilitarismus und Pazifismus erheben ihre Stimme, und sie finden ein wirkungsvolles Echo in den Grafiken der Sammelmappe Der Krieg von 1924, die das Grauen des Krieges festhalten; in den frühen Dreißiger Jahren wird der Kampf gegen den Nationalsozialismus zum Ausdrucksfeld für die Franzosen Cabrol, Effel, Sennep und für die Deutschen Dix, Grosz und Heartfield.

Lucien-Marie-François Métivet (1863-1932) Marianne et Germania, Geschichte einer Mütze und eines Helms, Titelblatt, 18. april 1918, in La Baïonnette, Paris, [o.N.] 1915-1920, Jg. 1918, Nr. 146 Gedrucktes Periodikum, Zinkdruck, 31,5 x 25 cm Collection Bibliothèque municipale de Lyon. Foto : BM Lyon ; Didier Nicole

Sektion 2: Nach 1945: Versöhnungsbilder
Die auf Initiative des Außenministers Robert Schuman gegründete Montanunion (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl) bedeutet auch den Beginn der deutsch-französischen Aussöhnung. Die Bilder begleiten ab jetzt das Auf und Ab dieser politischen Paarbeziehung und spiegeln historische Augenblicke wie die Unterzeichnung des Freundschaftsvertrags. Viele Pressezeichner engagieren sich bei diesem Thema, wobei auf der deutschen Rheinseite das Interesse noch ausgeprägter scheint. Simplicissimus, Der Spiegel, Die Zeit, Pardon und Titanic veröffentlichen regelmäßig politische Karikaturen. Manche bleiben im Gedächtnis, so die Zeichnung von Paul Flora zur Begegnung von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle in Reims. Hanel, Hanitzsch, Hicks, Leger, Oesterle, Partykiewicz, Pielert, Rauwolf, Sauer, F.K. Waechter, Wolter liefern abwechselnd in der Presse ihre Karikaturen, deren beißender Humor keines der beiden Länder und keinen der führenden Politiker verschont.

Im Frankreich der Nachkriegszeit stehen für die politische Leitkarikatur, die den zögernden ersten Schritten des deutsch-französischen Paares beobachtend folgt, zunächst die Namen Moisan und Sennep, danach Effel, zu denen ein zeittypischer grafischer Stil gehört, später dann Bose, Siné oder Tim, deren Stil mehr nervös-spontan wirkt. Ab den 1960er Jahren publiziert eine neue Generation, repräsentiert von Cabu, Plantu, Reiser, Willem, Wolinski, in diversen Zeitschriften wie Charlie mensuel, Charlie-Hebdo, Hara-Kiri, L’Enragé, Siné-Massacre. Die einprägsamste ikonografische Variation des Themas am Ende des 20. Jahrhunderts stammt von Cabu, der das berühmte Foto von Kohl und Mitterrand parodiert, wie sie 1984 Hand in Hand vor dem Friedhof von Verdun stehen.

Paul Flora (1922-2009), Reims, 1962 Tinte, 21x30 cm,
Leihgabe der Landeshauptstadt Hannover im Museum Willhelm Busch - Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst. Nachlassvertretung Paul Flora - www.paulflora-rechte.com. Foto : Willhelm Busch Museum

Sektion 3: „Das Arsenal der Karikaturisten“
„Das Arsenal der Karikaturisten“, gemäß der Formulierung von Ernst H. Gombrich, ist ein umfassendes ikonografisches Repertoire, aus dem sich die Zeichner bedienen, um ihre spezielle Bildwelt zu schaffen. Zum deutsch-französischen Thema, und mit dem Hauptziel, ein sorgloses Frankreich dem ernsthaften Deutschland entgegen zu stellen, bilden sich mehrere satirische Ikonen heraus. Der gallische Hahn und der preußische Adler sind unverzichtbare Symboltiere geworden, die sich durch die Epochen am Leben halten und die von Künstlern des Simplicissimus und von La Baïonnette genauso wie von André François und Tomi Ungerer herangezogen wurden, wobei ihnen natürlich je nach Rheinufer und Zeitläuften eine unterschiedliche Behandlung zuteil geworden ist. Gleiches gilt für die beiden allegorischen Frauenfiguren Marianne und Germania mit ihren jeweils klassischen Attributen; auch sie sind sehr stark präsent. Für den Gesinnungswandel nach 1945 ist bezeichnend, dass Marianne eine andere Figur namens Michel gegenüber trat, die mit ihrem gutmütig-einfältigen Aussehen und mit ihrer Schlafmütze ein ganz neues Paarbild prägte. Die von den Zeichnern keck bis unverfroren zweckentfremdeten Bildembleme wie die preußische Pickelhaube, der Walkürenhelm oder die Phrygische Mütze sowie die Nationalfarben gehören nach wie vor fast selbstverständlich zur symbolischen Bilderwelt um das deutsch-französische Tandem.

Sektion 4: Aus der Sicht des Eisass: Das Duo Deutschland-Frankreich in der Karikatur
Zwischen 1870 und 1945 haben zahlreiche Medien im Bereich der Illustration - Bilderbogen („Images d’Epinal“), Ansichtskarten, Pressezeichnungen, Bücher und Plakate - die revanchistische Stimmung mitsamt ihren Klischees, die in Frankreich und im Eisass herrschte, visuell umgesetzt. Zwei elsässische Zeichner dieser Zeit, Hansi und Zislin, haben einen erheblichen Teil ihres Talents der politischen Satire gewidmet. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war es hauptsächlich der in zahlreichen grafischen Sparten tätige Tomi Ungerer, der einen neuen Blick auf die deutsch-französischen Beziehungen und das Eisass geworfen hat. Der zwischen den beiden Weltkriegen im Eisass geborene Künstler hat das Problemthema vermutlich deshalb so hellsichtig angehen können, weil er sowohl die Zeit der Feindseligkeiten als auch die der Versöhnung erlebt hat. Seine Zeichnungen blenden die Vergangenheit niemals aus, ja sie werden fast zynisch, wenn sie von den Kriegsgräueln handeln. Ungerer wagt es, die schwierige Lage des Eisass anzusprechen, jener Region, die Opfer zahlreicher Konflikte und zwischen den beiden Nationen wie in einem Schraubstock eingezwängt war, wobei er die Ambivalenz des elsässischen Verhaltens keineswegs übersieht. Aber er bleibt überzeugt, dass es dem Eisass irgendwann gelingen wird, das „Verbindungsstück“ zwischen Frankreich und Deutschland zu werden, und er verwendet, um die sehr besondere Position dieses Landstrichs sinnbildlich darzustellen, eine ganze Reihe ungewöhnlicher grafischer Metaphern.

Was das deutsch-französische Paar anbelangt, das der Künstler seit den 1980er Jahren mit leidenschaftlichem Interesse beobachtet, so behandelt er es nicht gerade schonend. Seiner Auffassung nach bleiben die Deutschen und die Franzosen sehr verschieden und müssen noch viel voneinander lernen, ehe sie ein „Paar“ bilden werden, das diesen Namen verdient und das die Fortdauer Europas sicherstellt.

Tomi Ungerer (Jean-Thomas Ungerer, genannt) (geb 1931 ) Ohne Titel (Marianne und Germania), 1992
Serigrafie, 75 x 55,5 cm
Museum Tomi Ungerer - Internationales Zentrum für Illustration, Strasbourg © Tomi Ungerer. Foto : Musées de la Ville de Strasbourg/ Mathieu Bertola

Sektion 5: Einige grafisch-satirische Verfahren von heute
Das Thema des deutsch-französischen Paars bleibt von brennender Aktualität für die Zeichner, und diese greifen zu den verschiedensten grafisch-satirischen Verfahren. Plantu und Dieter Hanitzsch können aufgrund ihres Stils und ihrer Technik als „klassische“ Vertreter ihres Genres betrachtet werden. Plantu, der für die erste Seite von Le Monde viele einschlägige Karikaturen gezeichnet hat, setzt gerne auf Situationskomik und staffiert seine Figuren mit leicht identifizierbaren Attributen aus. Jenseits des Rheins arbeitet Dieter Hanitzsch seit Jahrzehnten für verschiedene Zeitungen, vor allem für die Süddeutsche, und begleitet das politische Geschehen mit scharfem Strich. Vor kurzem haben sie als ganz neuartiges Duo die Zeichenstifte gekreuzt, um das fünfzigjährige Jubiläum des Freundschaftsvertrags zu feiern. Christian Antonelli und Frank Hoppmann setzen mit gleicher Könnerschaft das gleiche satirische Mittel ein: sie stellen so genannte „grandes gueules“ dar, „Großkopfete“, das heißt, sie verpassen ihren Figuren weit überdimensionierte Köpfe. Bei Antonelli erinnert man sich besonders an seine Darstellung des Tandems Kohl-Mitterrand. Der feine, nervöse Strich hat gewiss mit seiner Bewunderung für Saul Steinberg und Ralph Steadman zu tun. Hoppmann hingegen lässt wahre psychologische Porträts in der Tradition eines David Levine entstehen, wenn er mit energischem Strich eine „Ahnengalerie“ der diversen Regierungschefs beider Länder zeichnet.

Eine andere Technik, die bei Live-Sendungen des Fernsehens entstehende Spontanzeichnung, ist Markenzeichen des Belgiers Pierre Kroll. Er wurde beispielsweise vom deutsch-französischen Sender ARTE beauftragt, den Themenabend „Der Wert Europas“ vom 18. September 2012 grafisch zu kommentieren, bei dem es vor allem auch um die wichtige Rolle des deutsch-französischen Duos für den Aufbau Europas ging.

Dieter Hanitzsch (geb 1933) Ohne Titel, 2013 Erschienen in Le Monde vom 22. Januar 2013 Mit Pinsel aufgetragene Tinte, Farbfilzstifte auf Papier, 21 x 29,7 cm Sammlung des Künstlers, Deutschland © Dieter Hanitzsch. Foto: Dieter Hanitzsch

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