Freitag, 9. November 1764

. . . Kurz vor Tisch kam der Markgraf herein2). Ich wurde ihm vorgestellt. Er ist von zurückhaltendem, bescheidenem, liebenswürdigem Wesen. Herr von Stetten amtete als Marschall und trug den Stab, mit dem er zweimal gemessen gegen den Boden stieß, worauf die Anwesenden still ihr Tischgebet verrichteten; dann setzten wir uns an die reich-besetzte Tafel. Nach Tisch erfolgt wieder das zweimalige Pochen des Marschalls, das Tischgebet wird verrichtet, der Fürst zieht sich einen Augenblick zurück, der Kaffee steht bereit, er kehrt zurück und unterhält sich, so lange ihm beliebt. Wie er mir sagte, ist er schon zweimal in England gewesen. Sein Englisch ist denn auch bemerkenswert gut. Er sprach von Lord Wemyss, Sir James Steuart, Lord Dunmore (alles Schotten, bravo!) und auch von Lord March. In der neueren schottischen Literatur ist er sehr bewandert. Ich erzählte ihm von der Literarischen Vereinigung, in der ich mit Hume, Robertson und anderen Mitgliedern zusammengekommen war, wobei er sich aufmerksam anhörte, was ich an kleinen Anekdoten zu berichten wußte. Meine Gesellschaft schien ihm offenbar zu behagen. Herr von Stetten sagte nachher zu mir: „Der Markgraf speist abends privat. Wenn Sie aber an der Marschallstafel essen wollen, werden wir es uns zur Ehre rechnen". So stellte ich mich denn um acht an der Marschallstafel ein, wo ich von Stetten traf und den Oberstallmeister und einen gemütlichen Kreis guter Leute. Man wies mir den Platz oben am Tisch an und war überhaupt sehr zuvorkommend. Unter den Anwe-senden befand sich ein Major, ein Schwede, der Sir Joseph Yorke so ähnlich sah, wie ein natürli-ches Gesicht einem erkünstelten nur ähnlich sehen kann. Von Natur aus hatten beide angenehme Gesichtszüge, aber die des Majors waren edler als die des Botschafters und nicht durch lächerliche Faxen entstellt. Ich hatte meinen Spaß an zwei jungen Höflingen, die sich vor mir ein forsches Ansehen geben wollten. Der eine fragte: „Sie haben doch La Fontaines Fabeln gelesen?" Worauf der andere lispelte: „Nein, ich hänge zu sehr am Realen."

Samstag, 10. November

Hofrat von Schmidt, ein Schweizer, holte mich um 10 Uhr ab, um mir die Bibliothek des Markgrafen zu zeigen. Ich bekam eine sehr artige Sammlung zu sehen. Die Hälfte der Bestände befindet sich allerdings in Basel, wo der Fürst ein Haus besitzt. Molter, der Bibliothekar, war sehr entgegenkommend; er hat Italien bereist, verfügt über ein ausgebreitetes Wissen und ist selber etwas von einem Dichter. Gegenwärtig ist er dabei, den dritten Band eines deutschen Sammelwerkes fertigzustellen, in den er auch eigene Gedichte aufgenommen hat und solche, die er aus dem Englischen übersetzte. Schmidt erwies sich als ein überaus kenntnisreiches Kerlchen, namentlich auf dem Gebiet der Altertumskunde. Schon verschiedentlich ist er von der Akademie mit einem Preis ausgezeichnet worden. Ihm ist das markgräfliche Münzenkabinett anvertraut. Er teilte mir mit, Seine Durchlaucht habe gesagt: „Dieser Mensch gefällt mir. Er ist gewohnt, selbständig zu denken." Er hat Schmidt angewiesen, mir möglichst viel zu zeigen, und Molter, mir an Büchern herauszugeben, was ich verlange, und mir auch einen Stoß Londoner Zeitungen zu schicken. Ich besichtigte allerlei Raritäten, zum Teil recht wertvolle Dinge. Aber das Münzenkabinett ist prachtvoll. Heute machten wir einen Anfang mit den antiken Stücken. Schmidt kennt sich gründlich darin aus. Ein paar Monate bei ihm, und ich wäre ein leidlicher Kenner. Es ist ein reizvolles Gebiet.

Heute wurde ich dem Prinzen Christoph vorgestellt, einem österreichischen General, Bruder des Prinzen Eugen. Er ist ein wackerer Haudegen. Mit dem Markgrafen sprach ich über die trostlose Religion der Holländer, über die frühere Art des Predigens wie diejenige Bischof Latimers und über die sonderbare Gepflogenheit, den Allmächtigen mit Kleinkram zu behelligen, wie das die alten schottischen Geistlichen noch tun. Das Wetter hier war bisher schlecht; erst heute nachmittag heiterte es auf. Ich ging den Marstall besichtigen, der einen guten Eindruck machte. Dann schlenderte ich durch den Wald und die Fasanengehege, beide schön und wild. Baron von Münzelsheim, ein junger Kammerherr von munterem Wesen3), lieh mir die „Neue Heloise" und den „Emil". Am Abend las ich zwei oder drei Stunden darin. Ich bin hier restlos glücklich, mache Fortschritte und finde geistige Unterhaltung. Ursprünglich hatte ich die Absicht, nur drei Tage zu bleiben und dann nach Stuttgart zu fahren. Ich werde nicht nach Stuttgart fahren. Lieber bleibe ich noch fünf oder sechs Tage hier. Zur Marschallstafel ging ich heute abend nicht.

Sonntag, 11. November

Gestern hatte ich mir vorgenommen, heute vormittag der Wildentenjagd beizuwohnen; es regnete aber in Strömen. Trotzdem ging ich zu Fuß hinaus, begleitet von meinem treuen Jakob, von meinem domestique de la cour und vom alten Seyfert, meinem Lohndiener, einem stillen, braven Mann. Ein Lohndiener nützt mir hier nichts, aber es ist nun mal Sitte, einen zu haben; so muß ich denn täglich ohne Murren zwei Schilling dafür auslegen4) Ich sah den Lockvogel und auch, wie ein paar Enten erbeutet wurden. Es ist höchst einfach. Es werden hier Enten die schwere Menge erbeutet. Schrecklich zu sehen war, wie der Wildhüter ihnen den Hals umdrehte und sie ins Gras warf, wo sie sich in Todesqualen wanden, bis sie verendeten. Nach der Rückkehr war ich naß bis auf die Haut. Ich zog mich um und ging aus, zu einem abermaligen Kolleg über Münzen. Dann zu Tisch. Heute war große Tafel, die Lakaien staken in festlicher Livree, und es lagen viel mehr Gedecke auf. Zwei Abgesandte vom Hof zu Rastatt waren da, um sich nach dem Befinden der jungen Prinzen zu erkundigen, die die Pocken haben. Der Markgraf war heute von Staatspersonen in Anspruch genommen, ich kam mit ihm nicht ins Gespräch. Ich war in der Hofkirche, die hübsch ist, machte einige Besuche und verbrachte den Abend in einer Gesellschaft bei Herrn von Gemmingen, dem Vorsitzenden der Finanzkammer. Zum Abendessen an der Marschallstafel. Man findet es liebenswürdig von mir, daß ich dorthin gehe.

Montag, 12. November

Ich bin sehr reiselustig. Wenn es mir an einem Hof behagt, möchte ich zwar am liebsten dort bleiben, zum Beispiel als Attache. Aber wie bald würde es mir leid, wenn ich so an einem Ort festsäße. Auf Auchinleck muß ich dann allerdings lernen, seßhaft zu werden. Es ist meine Pflicht, da ich zum Gutsherrn geboren bin. Wollten all die deutschen Fürsten ihren Wohnsitz nach dem verlockenden Spanien verlegen, würden ihre Geschlechter untergehen, und ich fände hier keine Höfe mehr vor. Heute unterhielt ich mich mit dem Fürsten über Schicksal und Willensfreiheit. Ich sprach klar, lebhaft und eindringlich. Wir hatten ein langes Gespräch. Den Vormittag verbrachte ich bei den Münzen und Büchern; am Abend las ich Rousseau und speiste an der Marschallstafel.

Dienstag, 13. November

Überflüssig, jeden Tag von neuem die Münzen und die Marschallstafel zu erwähnen. Ich unterhielt mich heute wieder lange mit dem Fürsten, wobei ich ihm erzählte, wie ich Samuel Johnson kennenlernte. Ich sprach auch von dem großen Nachahmungstalent, dem ich früher die Zügel schießen ließ, bis ich dann davon abgekommen. Bei Tisch hatten wir viel von Newmarket gesprochen; die Geschichten, mit denen ich aufwarten konnte, erregten allgemeine Heiterkeit. Nach Tisch machte Tanner, Honorarprofessor für englische Literatur in Straßburg, seine Aufwartung. Er hat vierundzwanzig Jahre in England gelebt, sich die Sprache gründlich angeeignet, sprach aber mit einem krächzenden Tonfall. Wie er uns mitteilte, hatte er in Straßburg David Garrick getroffen. Beim Abendessen trank ich heute abend zu viel Rheinwein und geriet in Wallung. Schon sah ich mich mit Schrecken wieder dem Trunk verfallen. Warum so ängstlich?

Mittwoch, 14. November

Münzesheim hatte mich gestern zu einem Hofrat mitgenommen, bei dem auch zwei Damen zugegen waren, die Lieder vortrugen. Heute vormittag erhielt ich Besuch von Professor Tanner. Ich war ganz der feine literatus. Nachher suchte ich den Hofmeister des jungen Prinzen auf, ein ver-schmitztes Kerlchen. Er heißt Ring und hat eine Abhandlung über Ringe geschrieben, und da der Ring ein Sinnbild der Ewigkeit ist, muß sein Name wohl unsterblich sein. Seine Frau ist eine gute Seele, wenn auch etwas farblos. Es belustigte mich, wie Münzesheim sich zu ihr setzte und sie regel-recht umbuhlte, mit all dem aufgeplusterten Getue, wie ich es an die schönsten Frauen verwendet habe. Es war rührend und lachhaft zugleich. Was es doch für feine Geschmacksunterschiede gibt! Immerhin, sie sang ein zärtliches deutsches Lied, mit einem Text von dem tapferen Kleist, der im Krieg gefallen ist: Sie fliehet fort", usw.5).

Dann ging ich mit Schmidt ein neues Gebäude besichtigen, das diesem Hof zur Ehre gereicht. Unten drin ist ein großzügig angelegtes Naturalienkabinett, das der Markgräfin gehört. Oben befindet sich die markgräfliche Bibliothek. Ich muß mir einen Plan dieser beiden Säle beschaffen. Nach Tisch sprach ich mit seiner Durchlaucht über Religion, wobei ich ihm meine Anschauungen freimütig darlegte. Ich befürwortete den Glauben, wie er in den vier Evangelien offenbart ist und vertrat die Meinung, er sei als solcher etwas Gutes. Anderseits wandte ich mich heftig gegen Hume und ähnliche gottlose Zeitgenossen, die unsere Grundsätze untergraben, ohne etwas Festes an ihre Stelle zu setzen. Seine Durchlaucht meinte, es sei äußerst schwierig zu entscheiden, ob die Bibel wirklich Gottes Wort sei. Er schien einem gemäßigten Zweiflertum zu huldigen. Es wurde ein sehr langes Gespräch. Ich hatte der Markgräfin durch Herrn Schmidt meine Empfehlung überbringen lassen, mit der Bitte, ihr meine Aufwartung machen zu dürfen. Sie war huldvoll, mich auf heute nachmittag zu sich zu entbieten. Ich begab mich also zu ihr und lernte eine kluge Frau von angenehmem Äußern und unbefangenem, lebhaftem Wesen kennen. Ich sagte mir, solch eine Gattin möchte ich haben. Sie zeigte mir eine schöne Sammlung kleinformatiger Bilder flämischer Meister. Auch eine Kreidezeichnung, eine Venus, die ihr eigenes Werk war, und zwar ein ganz vorzügliches, wie auch ein kleines Bildnis Seiner Durchlaucht, nach dem Leben gezeichnet. Beide sind hervorragend. Als ich ihr Naturalienkabinett rühmte, sagte sie: „Sie können zu seiner Vervollständigung beitragen. Der Markgraf sagte mir, Sie hätten versprochen, wiederzukommen". Ich bestätigte es. „Jetzt haben Sie mir auch ein Versprechen gegeben. Ein doppeltes Versprechen ist bindender als ein einfaches". Der Markgraf trat herein und schien erfreut, daß seine Gemahlin so bewundert wurde. Es ist auch kaum zu glauben, daß eine Fürstin so gut malt. Am Abend hatte ich im Gasthof Besuch von einem jungen Kammerherrn6). Er bekannte sich dazu, ein gottloser Materialist zu sein, ohne irgendwelche Vorstellungen von einem Fortleben nach dem Tode. Ich machte ihm eifrig Vorhaltungen und zeigte ihm, wie tief er unter mir stand; wenn er seine Grundsätze folgerichtig weiter entwickle, sagte ich, dann müßte er mir eigentlich meine Goldstücke stehlen, sofern es sich heimlich anstellen ließe.

Donnerstag, 15. November

Eine arge Erkältung hat sich meiner wieder bemächtigt. Mit Münzesheim, der mir ein Pferd zur Verfügung stellte, ritt ich nach Baden-Durlach7), einer alten Stadt, die nicht übel ist. Etwas Handel und Gewerbe ist vorhanden. Die Straßenbeleuchtung erfolgt durch Lampen, die an querübergespannten Kabeln hängen. Das Schloß ist erstaunlich groß. Wir erkletterten einen Hügel, auf dem eine alte Burg steht, und sahen weit ins Land hinaus.

Während der Tafel sprach ich heute mit dem Fürsten über seinen Obstgarten, den ich gesehen hatte und vielversprechend fand. Ich war heute wieder etwas grämlich und wähnte bereits, der Markgraf sei mir doch nicht gewogen. Verwerfliche Schwäche! Immerhin, ich sprach mit ihm über die Seele, wobei er bemerkte, wir hätten keine Ahnung, wie sie entstände. „Ist denn beim Zeugungsakt irgend eine Macht zugegen", fragte er, „die im entscheidenden Augenblick die Seele dazutut und sie wieder entfernt, wenn der Versuch mißlingt?" Das Scherzwort wurde sehr belacht, und meine Stimmung verbesserte sich wieder. Ich wartete dann nochmals der Markgräfin auf, deren Gemäldesammlung mir noch mehr Eindruck machte. Bei Freiherrn von Gemmingen hörte ich sodann ein Kammerkonzert. Ging nach Hause, konnte aber nichts anfangen. Ließ mich bei der Marschallstafel entschuldigen.

Freitag, 16. November

Ritt abermals mit Münzesheim aus. Es war ein lieblicher Tag, und meine Lebensgeister regten sich wieder. Belustigend war, was ich von Seiner Durchlaucht erfuhr: „Er ist den Frauenzimmern durchaus nicht abhold. Am liebsten hat er etwas Großes und Frisches, das er ohne viel Mühe kriegen kann, anspruchslos wie er ist."

Und jetzt sei einmal von meiner Hoffähigkeit die Rede. Von Kindesbeinen an habe ich zum Hochadel aufgeschaut und mich in der Abgeschiedenheit von Auchinleck oft zu den schönsten Hoffnungen verstiegen. Seit ich in Deutschland weile, habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als einen Fürsten von Bedeutung zu finden, der mich gebührend schätzt, so daß ich mich lebens-länglich seiner adelnden Freundschaft rühmen dürfte. Ich gefiel mir in dem Gedanken, unter den mannigfachen Fürsten, die ich aufzusuchen gedachte, könnte sich ein solcher finden. Allein, nachdem ich eine Anzahl Höfe kennengelernt hatte, war meine Hoffnung fast ganz geschwunden. Und nun, am vorletzten Hof, ist mein kühnster Wunsch in Erfüllung gegangen. Ein ernsthafter, wohlunterrichteter, liebwerter Fürst hat sich für mich gefunden. Er hat meinen inneren Wert erkannt. Er hat mich mit jeder nur möglichen Auszeichnung behandelt. Er hat sich jeweils des längeren mit mir unterhalten. Vor ein paar Tagen sagte ich zu ihm: „Besteht eine Möglichkeit, Durchlaucht, daß ich mich Ihnen nach meiner Abreise irgendwie erkenntlich zeigen kann?" „Ich werde Ihnen gelegentlich schreiben", antwortete er, „und es soll mich freuen, Briefe von Ihnen zu bekommen". Der Markgraf von Baden-Durlach hat einen Orden zu vergeben, den Hausorden der Treue. Er besteht aus einem Stern an einem Band, das man um den Hals hängt. Lord Wemyss ist Träger dieses Ordens, und ich habe es nun darauf abgesehen, ihn wenn möglich ebenfalls zu kriegen. Als der Fürst geruhte, mir einen Briefwechsel mit ihm in Aussicht zu stellen, dachte ich, er werde mir wahrscheinlich auch den Orden nicht versagen. Ich fragte ihn ganz beiläufig, ob er nur für den höheren Adel bestimmt sei, und erhielt Bescheid, es genüge, daß einer aus gutem Haus stamme. Münzesheim hatte mir aber gesagt, Seine Durchlaucht sei etwas wäh-lerisch, wem er ihn verleihe. Da dies mein letzter Tag in Karlsruhe war, meldete ich mich bei Hofe, um mich in aller Form zu verabschieden. „Ich kann Sie nicht bitten, länger zu bleiben", meinte der Fürst, „ich fürchte, Sie würden sich langweilen", Ich versicherte ihm, das sei keineswegs der Fall, doch sei ich gegenwärtig in Eile, werde aber zu einem längeren Aufenthalt zurückkehren. Dann faßte ich mir ein Herz und sagte: „Durchlaucht, ich möchte Sie um eine. Gunst bitten, eine sehr große Gunst. Ich weiß nicht, ob ich es überhaupt erwähnen darf." Hier war ich nun der vollendete Hofmann, gab ich mir doch den Anschein der Bescheidenheit, ja Befangenheit, wo ich doch tatsächlich ganz unbefangen war. Er fragte, was es denn wäre, und ich rückte damit heraus: „Durchlaucht sagten mir, wenn einer nur aus guter Familie stamme, könne er den Hausorden erhalten. Dürfte ich mich erkühnen, Durchlaucht um die Verleihung dieses Ordens zu bitten, falls ich zureichende Belege über meinen Stammbaum beibringe?" Er schwieg still, während ich ihn fest ins Auge faßte. Schließlich gab er zur Antwort, er wolle es sich überlegen. „Sie sind bereits so gütig zu mir gewesen", sagte ich, „daß ich mir schmeichle, einer solchen Auszeichnung würdig zu sein. Was meine Abstammung betrifft, kann ich Euer Durchlaucht versichern, unser Stammbaum reicht sehr weit zurück (vor einigen Tagen hatte ich dem Fürsten einen Überblick über unsere Familiengeschichte gegeben), und so sonderbar es klingt, ich kann mich auf Verwandtschaft mit unserem Landesherrn berufen, durch den Zusammenhang mit dem Ge-schlecht der Lennox und dem Königshaus Stuart8). Ich gehöre zu den ahnenstolzen Schotten. Wenn Sie mir diese Gunst gewähren, werden Sie mich mein Leben lang glücklich machen, indem Sie die Ehre unseres Geschlechts vermehren, und mich wird es mit Stolz erfüllen, in meinem Vaterland den Hausorden der Treue eines solchen Fürsten zu tragen." Er schien angenehm berührt. Ich fuhr fort: „Hoffentlich nehmen Durchlaucht es nicht übel auf, daß ich darauf zu sprechen kam. Mir liegt so viel daran, daß ich fand, es sei schade, etwas, worauf ich so großen Wert lege, zu entbehren, bloß weil es mir an Kühnheit fehlte, darum nachzusuchen." „Verschaffen Sie mir Ihren beglaubigten Stammbaum", sagte der Markgraf, „und wenn Sie wiederkommen, wollen wir sehen." Oh, ich kriege ihn9). Ich nahm untertänigst Abschied von Seiner Durchlaucht.

Hierauf begab ich mich zu Gemmingen, wo es Musik gab und Tanz und fröhlichen Betrieb. Kaum zu glauben, wie ungefestigt mein Sinn noch ist. Hier bei Musik und Tanz kann ich so ausgelassen sein, als wäre mir nie etwas schief gegangen. Wie eine Luftpumpe saugt mein Gemüt mit erstaunlicher Leichtigkeit Vorstellungen an und stößt sie wieder aus. Münzesheim begleitete mich nachher ein Stück weit. Ich teilte ihm im Vertrauen mit, wie ich wegen des Ordens vorgegangen war. Er meinte, ich werde ihn bei meiner Rückkehr kriegen. Als ich ihn bat, offen zu sprechen, beteuerte er, es könne gar nicht fehlen. Ich speiste nochmals an der Marschallstafel, wo man mich gern sieht. Es ist aufgefallen, daß der Oberstallmeister mit mir öfters gesprochen hat als mit irgend einem Fremden sonst. Er gilt als wortkarg und verschlossen. Ich löste ihm die Zunge, indem ich das Gespräch auf Pferde brachte, von denen ich, nebenbei bemerkt, gar nichts verstehe. Dagegen verstand ich es, das Gespräch im Gang zu erhalten.

Nach Tisch verabschiedete ich mich sehr freundlich von allen. „Meine Herren", sagte ich, „es wäre mir sehr leid, dieses Gemach zu verlassen, wenn ich dächte, ich würde es nie wieder sehen", und meiner Seel, das entsprach auch ganz meinen Gefühlen. Jakob ist ein Prachtskerl. Ich hatte ihm von meinem Wunsch, den Orden zu bekommen, gesprochen, und er sagte, er wünsche es genau so sehr wie ich, er würde ich weiß nicht mehr wie weit laufen und ich weiß nicht wieviel dafür geben, um ihn mir zu verschaffen. Als ich ihm heute abend sagte, der Orden sei mir so gut wie sicher, war er überglücklich. Ich packte ihn bei der Eitelkeit, indem ich sagte: „Er soll einen Herrn mit einem Ordensstern haben."

Samstag, 17. November

... Ich fuhr nach Rastatt, der Residenz des Markgrafen von Baden-Baden, der älteren Linie des Fürstenhauses10). Da er keine Nachkommen hat, wird bei seinem Tode mein liebwerter Markgraf von Baden-Durlach der erste des Geschlechts sein und ein Erbe antreten, das seine Ländereien ver-doppelt. Mein Gastwirt gab mir keine günstige Auskunft über seinen Landesherrn. Er sagte, er lebe verschwenderisch, borge ständig Geld und habe Schulden bei Fleischern und Bäckern und Hof-bediensteten.

Ich ließ mich melden. Der fourrier11) kam her und teilte mir auf lateinisch mit, ich sei willkommen, und sorgte für eine Kutsche. So ging ich denn vor sechs hin, nach dem Schloß, das von außen sehr gefällig wirkt und sich auch inwendig sehen lassen kann. Der Fürst ist von kleiner Gestalt, munter und unbefangen und ganz zwanglos. Es war unmöglich, in seiner Gegenwart verzagt zu sein. Auch die Hofbeamten waren sehr ent-gegenkommend. Um sechs begaben wir uns in ein kleines Theater im Schloß, wo wir ein deutsches Stück sahen. Ein Auftritt war recht lustig. Ein Säbelrassler ließ eine Reihe von Tölpeln hintereinander antreten, wobei jeder den linken Fuß seines Vordermannes unter den Arm klemmen mußte. Dann begann er sie zu karbatschen, bis sie miteinander von der Bühne abhopsten. Da ich von dem Stück sonst fast nichts verstand und die Nacht zuvor nicht ins Bett gekommen war, überwältigte mich die Müdigkeit und ich nickte neben einer bildhübschen jungen Dame ein. Nachher gab es ein vorzügliches Abendessen.

Sonntag, 18. November

Ich besuchte die Schloßkirche, deren Decke sehr schön ausgemalt ist. Da der Fürst katholisch ist, wurden Messen gelesen, sieben an der Zahl. Die Musik war hervorragend. Ich war sehr andächtig und des Gegensatzes zwischen der schottischen Landeskirche und dem römisch-katholischen Gottesdienst eingedenk. Dann ging ich an den Hof, wo ich den beiden Abgesandten begegnete, die ich schon in Karlsruhe kennengelernt hatte, dem Kammerherrn von Freyberg, einem liebenswürdigen, biederen Mann, und dem Husarenoffizier von Tettenborn, einer Hünengestalt. Wir speisten vorzüglich und tranken Kaffee, worauf die Damen sich zurückzogen, während der Fürst sich mit uns allein ins Billardzimmer begab, wo wir Billard und Pharo spielten. Ab und zu wurden dem Fürsten und den beiden Prinzen von Baden-Durlach, seinen Oheimen, ein Glas Wein gereicht. Die beiden kommen oft herüber; es gefällt ihnen hier besser als an ihrem eigenen Hof, da es hier lustiger und ungezwungener zugeht. Der Markgraf nennt sie „mes chers princes". Heute rief er den einen ganz einfach „Christoph". Ich verlor beim Pharo einen Louisdor. Kartenspiel macht mich immer trübsinnig; die Wirkung tritt augenblicklich ein wie bei einer presbyterianischen Predigt ...

Am Abend gab es ein Konzert und Kartenspiel. Die Nichte des Markgrafen, eine Prinzessin Elisabeth, hält sich an diesem Hofe auf; eine gute Seele12). Der Markgraf hat eine Vorliebe für eine Frau von Weyfelt13); Lästermäuler behaupten, es bestehe ein Verhältnis zwischen den beiden. Sie sieht nicht eben knusprig aus., aber der Gedanke, eine Buhle des Fürsten vor mir zu haben, ließ sie mir begehrenswert erscheinen und machte sie in meinen Augen sogar vortrefflich. Reizend war ein Fräulein von Geismar, von großem Wuchs und verträglichem Wesen; unter allen Schönheiten, die ich je gekannt, die einzige, die nicht gleichzeitig launenhaft war. Ich hatte sie als Tischdame; es ging sehr heiter zu.

Montag, 19. November14)

Der heutige Tag, als der Tag der heiligen Elisabeth, wurde der Prinzessin wegen glänzend gefeiert. Am Morgen fand eine prächtige Truppenschau statt. Um zehn wohnten wir einer Messe bei, die noch großartiger war als die gestrige. Nach all den Anfechtungen war ich jetzt wieder ein ganz zufriedener Mensch. Die Truppen wurden entlassen. Dann war bei Hofe große Tafel, nachdem wir, alle in vollem Staat, der Prinzessin gehuldigt hatten. Nach Tisch brach in der Wachstube Feuer aus; wir halfen löschen, was geraume Weile für Unterhaltung sorgte. Dann ging es ins Billardzimmer. Mit Grünberg (dem Oberhofmeister der Markgräfin, die dauernd unpäßlich ist) komme ich sehr gut aus. Er wußte sehr fein zwischen Veranlagung und Verfassung des Gemüts zu unterscheiden. „Die seelische Veranlagung", meinte er, „liegt im Körperlichen begründet. Sie hat einen großen Einfluß auf die Gemütsverfassung, bringt sie aber nicht allein hervor. Man kann nämlich übel veranlagt und doch bei guter Verfassung sein, sofern man richtig erzogen worden ist. Denken sie an die Franzosen. Viele unter ihnen sind zweifellos von Natur aus ungebärdig, tragen jedoch immer gute Laune zur Schau." Er hielt dafür, es dürfte etwas weniger steif zugehen an den deutschen Höfen, die ihm als Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens für die vornehme Welt galten, was sie auch sind. An einem Hof, wo Ordnung herrsche, meinte er, langweile man sich nie. Dieser Hof ist der gemütlichste, den ich kennengelernt habe. Man macht sich hier nicht unnötige Scherereien, indem man sich des Fremden in aller Form annimmt. Man läßt ihm volle Freiheit. Es wird alles mögliche geboten, und jeder, mit dem man ins Gespräch kommt, ist höflich und hilfreich. Wenn es mir lediglich darauf ankäme, Zeit zu vertrödeln, könnte ich hier gut ein halbes Jahr zubringen, ohne scheele Blicke gewärtigen zu müssen. Man würde sich darüber freuen.

Gestern sah ich mir die Sammlungen des Fürsten an. Er besitzt eine Anzahl antiker Gemmen, wie sie für Siegel und Ringe verwendet werden. Zwei Säulen, beide etwa anderthalb Fuß hoch, sind ringsum mit diesen Gemmen bedeckt. Allerlei wertvolle Dinge sind hier zu sehen, aber berühmt ist die Sammlung durch den drittgrößten Brillanten Europas; nach demjenigen des Königs von Frankreich und dem des Kaisers kommt der des Markgrafen von Baden-Baden. Er ist an einem Hut angebracht und sehr groß. Dieser Tag ging gänzlich mit höfischen Dingen hin. Ohne großen Gewinn, wird man vielleicht einwerfen, aber ich halte dem entgegen, daß ich dabei meine Umgangsformen ausbilde. Nachzutragen ist noch, daß ich dem Markgrafen von Baden-Durlach einige Verse überließ15). Heute abend nahm ich hier Abschied. Ich weiß noch, wie Brown mir sagte, ich werde einen himmelweiten Unterschied finden zwischen den protestantischen und den papistischen Orten in Baden, aber mir ist nichts dergleichen aufgefallen.