Goethes Lotte -
Ein Frauenleben um 1800


Goethes "wünschenwertes Frauenzimmer"

Vor 250 Jahren wurde Charlotte Buff geboren - die Frau, die Johann Wolfgang Goethe durch seinen Roman "Die Leiden des jungen Werthers" unsterblich machte. Das Historische Museum Hannover widmet dieser bedeutenden Bürgerin der Stadt eine große kulturhistorische Sonderausstellung, die ab dem 29. August zu sehen ist.

Einführungstexte
Wandtexte
Bilder

Fragt man den "Literaturpapst" Marcel Reich-Ranicki um seine Meinung, so steht Goethes Briefroman "Die Leiden des jungen Werthers" ganz oben in der Aufzählung des literarischen Kanons. Dass das überaus erfolgreiche Werk bis heute zur Weltliteratur schlechthin zählt, verdankt es auch der Tatsache, dass Goethe darin eigene, schmerzhafte Erlebnisse bewältigt hat.
Bei seinem Aufenthalt am Reichskammergericht in Wetzlar lernt der junge Goethe 1772 die anmutige und lebensfrohe Charlotte Buff (1753 - 1828) kennen und verliebt sich heftig in sie. Doch ist sie bereits einem anderen Mann versprochen: Johann Christian Kestner (1741 - 1800), einem hannoverschen Staatsbeamten. Daher verschmäht sie die Liebe ihres Verehrers, obwohl sie von Goethes Offerten zumindest sehr geschmeichelt ist. Zu diesem Zeitpunkt ist ihr noch nicht bewusst, dass diese Zurückweisung ihre Zukunft entscheidend beeinflussen wird.
Goethe verläßt daraufhin fluchtartig Wetzlar und verarbeitet seine Emotionen in seinem ersten Roman "Die Leiden des jungen Werthers". Charlotte ist für ihn ein weibliches Idealbild: Noch in seinem Alterswerk "Dichtung und Wahrheit" spricht er von ihr als "ein wünschenswertes Frauenzimmer". Für den Werther-Roman hat sie ihn zu der literarischen Figur der Lotte inspiriert. Johann Christian Kestner verkörpert dort den nüchternen und vernunftbestimmten Albert. Als dessen Gegenpol füngiert die leidenschaftliche Titelfigur Werther. Diesem Charakter liegt zum Teil Goethe selbst zugrunde; seine unerfüllte Liebe zu Charlotte spiegelt sich in Werthers verzweifelter Hingabe an Lotte. Zudem zeichnet Werther das Schicksal von Karl Wilhelm Jerusalem (1747 - 1772) nach, eines jungen Juristenkollegen Goethes und Kestners in Wetzlar, der sich mitunter aus unerfüllter Liebe zu einer verheirateten Frau erschoss. Auch "Werther" sieht im Selbstmord den einzigen Ausweg - und wird so für eine ganze Generation zur Identifikationsfigur neu entdeckter Emotionalität und kompromissloser Hingabe.

Als "Die Leiden des jungen Werthers" 1774 erscheint, wird der Roman in kürzester Zeit zum Kultbuch einer ganzen Generation - ein Bestseller, der eine regelrechte Werther-Begeisterung schafft und so Intellekt, Lebensgefühl und Mode der damaligen Zeit prägt. Schon bald nach der Veröffentlichung finden die Leser heraus, dass hinter den literarischen Figuren reale Personen stecken. Durch die Aufdeckung der brisanten Dreiecksbeziehung wird die echte Charlotte, seit 1773 mit Johann Christian verheiratet und in Hannover wohnend, schlagartig berühmt. Sie muß nun mit dem unfreiwilligen Ruhm leben, der ihr stets hilfreich und hinderlich zugleich sein wird -bleibt sie doch für immer "Goethes Lotte".

"Goethes Lotte" - unter diesem Titel huldigt das Historische Museum Hannover in seinem 100jährigen Jubiläumsjahr die bedeutende Bürgerin der Stadt mit einer großen kulturhistorischen Ausstellung. Diese wird am Abend des 28. August, am Geburtstag Goethes und pikanterweise auch seines Nebenbuhlers Johann Christian Kestner, eröffnet und ist vom 29. August bis 30. November zu sehen. Mit rund 300 Exponaten vermittelt sie einen anschaulichen Eindruck von der Person Charlotte Kestners. Ihr Verhältnis zu Goethe im Laufe ihres Lebens wird ebenso beleuchtet wie die Wirkung des Werther-Romans auf seine Zeit und auf Charlottes Biographie. So präsentiert das Historische Museum hochrangige Exponate, wie etwa den Golddukaten aus Privatbesitz, den Goethe seinem Patenkind, Charlottes erstem Sohn, zur Taufe schenkte. Daneben ist es der Kuratorin der Ausstellung, Frau Dr. Ulrike
Weiß, gelungen, einzigartige, noch nie in Deutschland ausgestellte Stücke aus London auszuleihen. Dazu zählt der Granatring, von dem es heißt, Goethe habe ihn Charlotte zum liebevollen Andenken geschenkt.
Ein weiterer Höhepunkt ist die Reisepistole von Charlottes Ehemann: Diese wurde für den realen Selbstmord verwendet, der Goethe zum Schicksal des Werther inspirierte. Museumsdirektor Dr. Thomas Schwark: "Wir freuen uns ganz besonders darüber, dass wir die erhaltene Reisepistole von Johann Christian Kestner zeigen können, mit der sich Karl Wilhelm Jerusalem erschoss. Wohl kein anderes Stück führt so plastisch vor Augen, wie eng Fiktion und Wirklichkeit in ,Die Leiden des jungen Werthers' miteinander verwoben sind. Hier wird Weltliteratur lebendig."
Gemälde, Graphiken, Möbel und Alltagsgegenstände lassen ein farbiges Bild der Zeit Charlottes entstehen. Erstmals werden eine Reihe von "Erinnerungsstücken" und persönlichen Dingen aus Charlottes Besitz wieder zusammengeführt. Sie erlauben einen höchst privaten Blick auf diese außergewöhnliche Frau und die Stationen ihres bewegten Lebens. Über die umfassende Familiengeschichte hinaus dokumentiert die Ausstellung eine überaus bewegte Epoche: Hannover diskutierte die Aufklärung und die Französische Revolution, wurde von französischen und preußischen Armeen besetzt und 1815 zum Königreich erhoben. Auch für das gesellschaftliche Leben der großbürgerlichen Kreise Hannovers lässt sich Charlotte Kestner als Zeitzeugin aufrufen.
In der Ausstellung ist eine Werther-Leseecke ebenso zu finden wie Hörstationen, an denen Auszüge aus "Die Leiden des jungen Werthers" vorgetragen werden. Darüber hinaus vermitteln Kostproben aus den Briefen Goethes, Charlottes und ihres Freundeskreises einen akustischen Eindruck jener Jahre - dies geschieht ebenfalls in Form von Hörstationen. Zudem ist das Historische Museum stolz darauf, nun pünktlich zu "Goethes Lotte" ein eigenes Audio-Guide-System zur Verfügung stellen zu dürfen, mit dessen Hilfe die Besucher sich ausgewählte Exponate individuell erschließen können. Ein vielfältiges Veranstaltungsprogramm rundet die Ausstellung ab: Höhepunkte sind dabei etwa das Museumstheater direkt in der Ausstellung, "Die Lange Werther-Film-Nacht" und die kulinarischen Veranstaltungen. Das reich bebilderte Begleitbuch vertieft in fünfzehn Aufsätzen die Biographie Charlotte Kestners und ihrer Familie sowie Aspekte des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens der "Werther"-Zeit.

   

im Detail:

weiter:

siehe auch:

Informationen

zurück:


Zurück:
Startseite -
Register - Impressum
zur ZUM
© Badische Heimat 2003