12.2.20

Historisches und Völkerkundemuseum St Gallen

Vom Jugendstil zum Bauhaus

(hvm) Nach der Eröffnung der Dauerausstellung Jugendstil in St.Gallen 2018 widmet das HVM seine aktuelle Ausstellung der Gründung des Bauhauses vor 100 Jahren. Gezeigt wird eine kleine Design-Geschichte von der ersten Reformbewegung, dem «Arts and Crafts-Movement» aus England, über den Jugendstil zum Bauhaus – bis zum Schweizer Landi-Stuhl 1939. Mit dem Zweiten Weltkrieg folgte eine jähe Zäsur. Doch die Errungenschaften des Bauhauses, der einflussreichsten Design- und Kunsthochschule der Moderne, lebten weiter und sind bis heute spürbar.

Armlehnsessel Weissenhof-MR 20, Ludwig Mies van der Rohe, um 1927.Bauhaus Wiege. Peter Keler, 1923Plakat Fratelli Thonet, Mobili Di Legno CurvatoArmlehnsessel Weissenhof-MR 20, Ludwig Mies van der Rohe, um 1927.

Bauhaus Wiege. Peter Keler, 1923

Plakat Fratelli Thonet, Mobili Di Legno Curvato

Alle Bilder: HVM St. Gallen

Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert veränderten sich Wirtschaft, Gesellschaft und Lebenswelt der Menschen grundlegend. Maschinen ersetzten zusehends die Handarbeit, und das Einzelstück wurde von der Massenware verdrängt. Gestalterisch orientierte sich das 19. Jahrhundert an vergangenen Stilrichtungen und kopierte sie frei. Dieser Stilpluralismus ist ein Merkmal des damals herrschenden Historismus.

In England, wo die Industrialisierung etwa eine Generation früher einsetzte, formierte sich die erste Reformbewegung, die «Arts and Crafts», die auf dem europäischen Festland bald ihr Pendant im Jugendstil fand. Diese frühen Bewegungen kritisierten neben den harten Arbeitsbedingungen in den Fabriken, den sozialen Problemen oder der Umweltverschmutzung vor allem die Massenproduktion und Qualität der billig hergestellten Waren. Eine Möglichkeit war, sich auf die solide Handarbeit der Vergangenheit und die natürliche Schönheit des Materials zu besinnen. Eine andere hatte zum Ziel, die industriellen Produkte sorgfältiger zu gestalten, den modernen Bedürfnissen anzupassen und so zu preiswerten, haltbaren, schlichten und doch sorgfältig gearbeiteten Produkten zu gelangen. 

Hier sei besonders auf das 1819 gegründete Familienunternehmen Thonet hingewiesen. Der Tischlermeister Michael Thonet experimentierte mit in Leim gekochten Stäben, die er beliebig formen konnte. 1830 erzielte er erste Erfolge und 1859 präsentierte er den Wiener Kaffeehausstuhl. Es ist das meist produzierte Sitzmöbel der Welt. 1930 waren bereits 50 Mio. Exemplare verkauft. Der Stuhl verkörpert alle Vorteile der neuen Bugholz-Technik: Formschönheit, Funktionalität, Materialersparnis, Erschwinglichkeit und Haltbarkeit. Er wurde nach dem Bausatz-Prinzip in Einzelteilen als Paket ausgeliefert und vor Ort verschraubt.

Was mit Bugholzmöbeln der Firma Thonet begann, setzte sich ab 1920 in den Experimenten mit verchromten Stahlrohrmöbeln von Marcel Breuer, Ludwig Mies van der Rohe und anderen Avantgarde-Künstlern der Moderne fort. Sitzmöbel kommen in jeder Wohnung mehrfach vor. Sie sind hohen Belastungen ausgesetzt und sollten einigermassen erschwinglich sein. Darum galt ihnen das besondere Interesse der Gestalter.

Das HVM besitzt eine ansehnliche Sammlung von Möbeln und Alltagsgegenständen des ausgehenden 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges. Sie werden erstmals in einer Sonderausstellung dem Publikum gezeigt.

Bereichert wird die Ausstellung mit Leihgaben aus bedeutenden Schweizer Sammlungen, darunter Textilien von William Morris bis Sonja Delaunay, Grafiken von le Corbusier, Sophie Taeuber-Arp und der St.Gallerin Maria Geroe-Tobler. Sie ist die einzig bekannte Künstlerin aus St.Gallen, die am Bauhaus in Dessau studierte. Maria Geroe-Tobler besuchte 1928/29 den Vorkurs und die Weberei bei Gunta Stölzl im neuen Schulgebäude in Dessau.

Trotz seiner nur 14 Jahre bestehenden Existenz darf das Bauhaus als eine der wichtigsten Design- und Kunstschule der Moderne bezeichnet werden. 1933 wurde sie unter dem Druck der Nationalsozialisten geschlossen. Viele Mitglieder emigrierten und trugen so zur internationalen Verbreitung der Ideen des Bauhauses bei.

Dienstag bis Sonntag 10 – 17 Uhr
Geschlossen jeden Montag sowie Karfreitag, offen Ostermontag und Pfingstmontag.

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