1.2.19

Hintergrund und Beweggründe für die Schenkung des Narrenkleids

(lmw) Mit der offiziellen Übergabe am 24. Januar 2019 gelangt ein über 90 Jahre altes Schantle in die Sammlung des Landesmuseums Württemberg. Der bisherige Besitzer, Dieter E. Albrecht, übereignet das traditionsreiche Rottweiler Narrenkleid als Spende an das Museum der Alltagskultur.

Dieter E. Albrecht, die Larve und die Kuratorin Raffaela Sulzner M.A.,. Foto: Andrea Goletz, Landesmuseum WürttembergSchantle aus Rottweil. © Foto: Dirk KittelbergerDieter E. Albrecht, die Larve und die Kuratorin Raffaela Sulzner M.A.,. Foto: Andrea Goletz, Landesmuseum Württemberg

Unten: Schantle aus Rottweil. © Foto: Dirk Kittelberger

Das Rottweiler Schantle begleitet Dieter E. Albrecht seit seiner Kindheit. Bereits sechs Generationen nahmen mit dem Narrenkleid als Schantle an den Rottweiler Narrensprüngen teil. In der Vergangenheit, so Albrecht, stand das Schantle für eine Figur, die „in einem Kartoffelsack mit so einer Art ‚Hexenbesen‘ und Larve (…) den Verrückten, den Behinderten, den Aussätzigen gespielt hat. Der (…) mit seinem Besen die Rossbollen in die Zuschauermenge geschleudert hat oder den Damen unzüchtig irgendwo hingelangt hat“. Das hat sich im 20. Jahrhundert verändert: „Der Schantle ist der Einzige, der nicht juckt oder springt, sondern (…) im Prinzip seine Behinderung, die Unvollkommenheit mitträgt“. Das Narrenkleid gehört für Albrecht zu einer Fasnet, die er im Verschwinden begriffen sieht. Deshalb möchte er das Kleidle nicht mehr länger tragen und nicht mehr am Rottweiler Narrensprung teilnehmen.

Gefertigt wurde das Schantle vor rund 90 Jahren. 1928 beauftragte der Rottweiler Stadtschultheiß Edwin Glükher das aus blauem Leinenstoff mit Stickarbeiten versehene Kleidle. Die dazu getragene Larve wurde von dem Bildhauer und Larvenschnitzer German Burry (1853 bis 1933) hergestellt und Ende der 1970er Jahre vom Fassmaler Helmut Kramer neu gefasst.

Über mehrere Generationen war das Narrenkleidle im Familienbesitz und wurde von Mitgliedern der Familien Glükher und Albrecht getragen. Edwin Glükher trug das Schantle bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Es gelangte an seinen Schwiegersohn Wilhelm Albrecht und wurde über weitere vier Generationen vererbt. Seinem letzten Besitzer und langjährigen Träger Dieter E. Albrecht fiel es daher nicht leicht, dieses Narrenkleid abzulegen. Seit 1980, seinem 15. Lebensjahr, war Albrecht Mitglied der Rottweiler Narrenzunft und nahm jährlich an bis zu drei Narrensprüngen teil. Seine Entscheidung, das Schantle dem Museum der Alltagskultur im Schloss Waldenbuch zu übergeben, kann als eine Form des Protests verstanden werden, gegen eine Fastnacht, die sich für ihn immer mehr in Richtung Touristenattraktion verändert.

Beim Narrensprung spielen für Dieter E. Albrecht die Transformation zum Narren wie auch das Nicht-Erkannt-Werden eine zentrale Rolle. Hierbei ist vor allem das Passieren des Schwarzen Tors bedeutsam: „Man ist plötzlich in einer (…) anderen Welt, in einer Blase und man ist was völlig anderes. Man ist nicht der Dieter, der Bernd oder sonstige, sondern man ist der Schantle.“ Mit Hilfe von selbstgestalteten Narrenbüchern folgt nach dem Narrensprung das „Aufsagen“. Dabei werden aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen angesprochen, mit dem Ziel, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. „Da ging es nicht ums Niedermachen, Heruntermachen, sondern (…) um die Reflexion. Das funktioniert natürlich vor allem dann, wenn unklar ist, wer hier einem grad den Spiegel zeigt.“ Albrecht kritisiert, dass sich diese Praxis zunehmend völlig gewandelt habe: „Viele Narren nutzen den Narrensprung nur noch als Schaulaufen“.

Die von Dieter E. Albrecht wahrgenommen Veränderungen ließen sich nicht mehr mit seinen Vorstellungen der Fastnacht vereinbaren. Er entschied daher im Oktober 2018 das Schantle zur online Versteigerung auf der Seite „ebay Kleinanzeigen“ freizugeben. Die Anzeige löste eine rege Diskussion aus über die von Albrecht getroffene Entscheidung, das Kleidle zu verkaufen sowie über die Veränderungen der Fastnacht. Nach ersten Sammlerangeboten, entschied Dieter E. Albrecht das Schantle dem Museum der Alltagskultur im Schloss Waldenbuch, einer Außenstelle des Landesmuseums Württemberg, zur Schenkung anzubieten.

Mit der Übernahme des Schantle und der Larve in das Museum der Alltagskultur wird dessen Sammlung an Objekten zur Fastnacht erweitert. Zu ihr gehören rund 300 Einzelteile sowie Fastnachtskostüme, wie beispielsweise die Weißnarrenkostüme Gschell und Biß sowie ein Guller aus Rottweil. Aufgrund des bereits umfangreichen Bestandes an Objekten zur Fastnacht sieht die zukünftige Sammelpraxis der Abteilung Populär- und Alltagskultur vor, nur noch fallweise einzelne Exemplare in die Sammlung aufzunehmen, wenn diese von besonderer historischer Bedeutung sind oder wenn sie noch nicht in der Sammlung vertreten beziehungsweise mit einer besonders interessanten Geschichte verbunden sind – eine Voraussetzung, die beim Schantle erfüllt ist. Eine Ergänzung der bereits in der Ausstellung gezeigten Fastnachtskostüme durch das Schantle ist derzeit nicht vorgesehen, da im Rahmen einer geplanten Neukonzeption des zweiten Stockwerkes des Museums der Alltagskultur neue Wege der Präsentation beschritten werden sollen.

im Detail:  
siehe auch:  

Startseite | Service | zur ZUM | © Landeskunde online/ kulturer.be 2018
© Texte der Veranstalter, ohne Gewähr