17.5.18

Gediegener Spott - Bilder aus Krähwinkel

Ausstellung im Museum LA8 - Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, Baden-Baden

Unbekannter Künstler: Die Auserwählte eines Krähwinkler Zierbengels führt ihren Geliebten an der Nase herumUnbekannter Künstler: Die Raucher, um 1825,(la8) Seit dem 24. März 2018 zeigt das Museum LA8 in Baden-Baden die Ausstellung „GEDIEGENER SPOTT. Bilder aus Krähwinkel“. Das Biedermeier zwischen 1815 und 1848 bestand nicht nur aus behaglichen Möbeln, Hausmusik und unpolitischer Privatheit. In den bürgerlichen Wohnstuben wurde manchmal laut gelacht, und zwar über die lustigen Grafiken, die das absurde Treiben der anständigen Bürger in Krähwinkel zeigten. Die beliebten Drucke bestanden immer aus einer sprichwortartigen Unterzeile und einem Bild, das den traditionellen Sinn einer Redensart ins Anarchisch-Komische umsetzte. Zu sehen war dann etwa, wie eine Schöne ihren Verehrer buchstäblich an dessen (seltsam langer) Nase herumführt.

Unbekannter Künstler: Die Auserwählte eines Krähwinkler Zierbengels führt ihren Geliebten an der Nase herum, o.J., kol. Kupferstich, Slg. D. Ante, Foto: Henrik Elburn

Unbekannter Künstler: Die Raucher, um 1825, kol. Kupferstich, Slg. D. Ante, Foto: Dieter Ante

Doch als altehrwürdige Sprichwörter nicht mehr Ordnung und Sinnzusammenhang gewährleisteten, bekam die geschlossene Idylle einen Knacks und öffnete sich für die Bildbetrachter durch ihr eigenes verblüfftes Lachen.

Das Biedermeier stand für den Versuch, in einer Phase tiefgreifender wirtschaftlicher, politischer und sozialer Umbruche persönlichen und familiären Halt zu finden an harmonisch gestalteten Gegenständen: vor allem an Möbeln, auch an ansehnlicher, dabei zugleich praktisch schlichter Kleidung, an volksliedhaft kurzen Dichtungen, an Musikinstrumenten, die man zu Hause spielen konnte. Für die Besucher der Ausstellung wird das Gediegene der Epoche erfahrbar durch historisches Mobiliar. Ergänzt wird das (allzu) Behagliche durch Puppenstuben des 19. Jahrhunderts, erlebte doch das Puppenhaus seinen ersten großen Aufschwung als massenhaft hergestelltes Spielzeug im Biedermeier.

Womöglich mehr noch als reale Wohnraume wurde die Puppenstube zum Idealort des kindlich unpolitischen Ruckzugs ins Private.

Einen ganz anderen Raum eröffneten die spöttischen, konfliktfähigen Bilder aus Krähwinkel. Mit über 200 Drucken aus der Sammlung Dieter Antes präsentiert die Ausstellung erstmals einen umfassenden Überblick über die unbekannte, spottisch-subversive Bilderwelt des Biedermeier, die zugleich die politisch turbulente Vormärz-Zeit ist. In den Grafiken fanden die Künstler einen Weg, in Form bildlicher Ambivalenzen auch das Ungeloste und Verdrängte zu zeigen - die Unkosten der biedermeierlichen Lebenseinrichtung. Diese sah für jede Kommode und jedes Sofa den richtigen Platz vor, mit der seelischen Inneneinrichtung aber wurde wesentlich unbeholfener und sparsamer umgegangen. Bildstrukturelle Voraussetzung für diese Fähigkeit, den Bildbetrachtern neue und aktuelle Wahrheiten vor Augen zu fuhren, ist die kindlich strikte Weigerung, den Erklärungsmustern der Sprichworte und deren Weisheiten zu folgen. Wie Kinder, die bestimmte Abstraktionen noch gar nicht nachvollziehen können, verweigern die Krähwinkler Text-Bild-Unfalle jeden Einstieg in höhere Vorstellungen, allegorisch kodierte Besserwisserei, akademisch-philosophisches Geschwafel oder großtuerische Militärsprache. Aus der Mitte der braven Biedermeier-Welt entsprang eine anarchistische Komik, eine infantile Unterbietungsstrategie.

Diesen scheinbar kindlichen Humor in Bildern konnten Obrigkeit und Zensur kaum so effizient unterdrucken wie die politische Dichtung des Vormärz.

Die Ausstellung ist bis zum 2. September 2018 zu sehen und entstand in Zusammenarbeit mit dem Wilhelm Busch – Deutschen Museum für Karikatur und Zeichenkunst, Hannover.

GEDIEGENER SPOTT. Bilder aus Krähwinkel.
MUSEUM LA8 - Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, Baden-Baden
24. März bis 2. September 2018

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