8.1.18

Frühmittelalterliche Funde im Herrenberger Baugebiet

(rps) Im geplanten Wohnbaugebiet Gartenäcker (Stadt Herrenberg) sind weitere archäologische Untersuchungen erforderlich, nachdem bei Probeuntersuchungen im westlichen Bereich Fundstücke entdeckt wurden. Parallel zu den Vorarbeiten hierfür arbeitet die Stadtverwaltung am Bebauungsplanverfahren und an der Grundstücksneuordnung weiter, um die gewünschte Wohnbebauung vorzubereiten.

Angesichts des großen Wohnraumbedarfs in Herrenberg fokussiert die Stadt die Wohnbauentwicklung im Innen- und Außenbereich. So plant sie am östlichen Rand des Stadtteils Gültstein im Bereich Gartenäcker auf dreieinhalb Hektar Fläche ein neues Wohngebiet. „Wir sind mitten im Verfahren“, erläutert Oberbürgermeister Thomas Sprißler. Mit Blick auf die anstehenden archäologischen Untersuchungen betont er: „Wir müssen das Gebiet in Gültstein archäologisch untersuchen lassen und parallel am Bebauungsplan weiter arbeiten, um später zeitliche Verzögerungen beim Bau zu vermeiden.“

Hinweise auf frühe Siedlungen
Bei vorbereitenden Arbeiten für das Wohngebiet Gartenäcker sind Experten des Landesamts für Denkmalpflege im September dieses Jahres auf Fundstücke aus mehreren Epochen gestoßen. Die ersten Sondierungen (Vorerkundungen) fanden im westlichen Teil des Gebiets statt. Der östliche Teil wurde noch nicht wissenschaftlich erkundet, hier werden jedoch weitere Funde vermutet. Momentan finden vor Ort keine archäologischen Arbeiten statt.

Herrenberg Gültstein „Gartenäcker“, Schnitt 12

Freilegung eines frühmittelalterlichen Frauengrabs .

Darunter: Detail Schädel mit Ohrringen und Perlen des frühmittelalterliches Frauengrab

Beide Fotos: Landesamt für Denkmalpflege, Foto: Benjamin Nix

Zum ältesten Fundmaterial gehören zwei vorgeschichtliche Keramikscheiben. Bruchstücke von Leistenziegeln stammen wohl aus der römischen Epoche; Keramiken aus dem späten 7./8. Jahrhundert bis zum 11./12. Jahrhundert. Der bisher bedeutendste Fund ist ein frühmittelalterliches Grab aus dem 7. Jahrhundert samt Skelett einer Frau. Das Grab wird von einer Erosionsschicht überdeckt, in der sich Befunde einer karolingischen bis hochmittelalterlichen Siedlung abzeichnen. „Um weitere Gräber zu finden, hätten wir diese Schicht samt dieser vermuteten Befunde zerstören müssen“, erklärt Dr. Jonathan Scheschkewitz vom Landesamt für Denkmalpflege beim Regierungspräsidium Stuttgart. Ferner könnte im Sondierungsgebiet eine römische, bisher nicht nachgewiesene Fundstelle sein: „Möglicherweise befindet sie sich aber auch außerhalb des überplanten Baufeldes“, so Dr. Scheschkewitz. Die meisten Befunde vermuten die Experten im Südosten des untersuchten Bereichs: Dort zeichnet sich die bereits erwähnte karolingisch bis hochmittelalterliche Siedlung in Form von Pfostenspuren und Gruben direkt unterhalb der Humusschicht ab. Im Norden konnten zwar ebenfalls zeitgleiche Siedlungsspuren freigelegt werden, diese werden aber von einem Hangschutt überdeckt.

Grabungen und Sondierungen erforderlich
Die bisherigen Erkenntnisse werfen eine Reihe von Fragen auf. So sind der konkrete Wert und der tatsächliche Umfang der archäologischen Funde derzeit noch nicht abzuschätzen. Auch die Höhe der Kosten für die Bodenerkundung und Sicherung der Funde ist noch unklar. Laut Experten sollen diese deutlich im sechsstelligen Bereich liegen.

Fest steht inzwischen, dass im westlichen Teil des Gebiets, wo die ersten Erkundungsarbeiten stattgefunden haben, Grabungen erforderlich sind. Ziel ist es, die Bodendenkmale fachgerecht zu untersuchen, damit sie bei den geplanten Baumaßnahmen nicht undokumentiert zerstört werden. „Nur wenn wir diese Gräber und Siedlungsspuren archäologisch dokumentieren, können wir weitere wissenschaftliche Schlüsse daraus ziehen“, erklärt Dr. Scheschkewitz die Motivation der Wissenschaftler. Außerdem sollen im östlichen Teil des geplanten Baugebiets Sondierungen durchgeführt werden. „Wir gehen davon aus, dass es hier weitere archäologische Befunde gibt, da die vollständige Ausdehnung der Siedlung noch nicht erfasst wurde“, erläutert Dr. Scheschkewitz.


Befundkonzentrationen: 1: Konzentration von Pfosten und Guben einer früh-hochmittelalterlichen Siedlungsaktivität, Erosionsschichten und spätmerowingische Bestattung; 2: Vereinzelt Gruben, Erosionsschichten, Kalksteine Mauerfundament?; 3: Konzentration von Pfosten und Guben einer früh-hochmittelalterlichen Siedlungsaktivität und Erosionsschichten; 4: noch nicht untersuchter Bereich außerhalb der Denkmalfläche (Landesamt für Denkmalpflege, Grafik: Frank Hummel u. Claus Brenner).

Ausblick
Welche weiteren konkreten Untersuchungen sinnvoll sind, und in welchem Zeitraum diese durchgeführt werden können, klärt die Stadt derzeit in enger Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege. Die Fachbehörde erstellt dafür eine sogenannte Leistungsbeschreibung für die Ausgrabung. Auf deren Grundlage wird die Verwaltung die Arbeiten ausschreiben und eine Firma beauftragen, die in Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege die Grabungen und Sondierungen durchführt. Außerdem wird die Stadt für die Durchführung der erforderlichen Maßnahmen Verträge mit dem Landesamt für Denkmalpflege abschließen. „Solch eine Ausschreibung und solche Verträge sind neu für uns, da bisher das Denkmalamt solche Grabungen durchgeführt hat“, erläutert Volker Deuschle vom Stadtplanungsamt. Hintergrund ist eine Neuorientierung des Grabungswesens unter Einsatz von privaten Grabungsfirmen in Baden-Württemberg.

Welche Konsequenzen die archäologischen Funde für das Baugebiet haben, ist derzeit schwer abzuschätzen. OB Sprißler betont: „Wir tun alles, was uns möglich ist, damit im Gartenäcker so schnell wie möglich die ersten Häuser gebaut werden können.“ Deshalb treibe die Stadt das Bebauungsplanverfahren parallel zur Arbeit der Archäologen voran. Vieles hängt von den Kosten für die Grabungen und für den fachmännischen Umgang mit den Funden ab, da diese in die Entwicklungs- und Erschließungskosten des Baugebietes einfließen. Auch der Zeitplan hängt von den Untersuchungsergebnissen und der fachlichen Einschätzung der Denkmalpfleger ab. „Niemand weiß, was genau unter den Gartenäckern schlummert, deshalb tun wir uns mit Prognosen so schwer“, betont Sprißler. „Ganz klar, wir wollen, dass in Gültstein bald gebaut wird. Den etwas steinigen Weg dorthin machen wir jetzt hoffentlich frei.“

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