5.12.16
Archäologen entdecken älteste Steinzeitdörfer
im Westallgäu
Das östliche Oberschwaben und das Westallgäu wurden
viel früher von den ersten jungsteinzeitlichen Bauern besiedelt,
als bisher angenommen. Dies zeigen eine ganze Reihe bislang unbekannter
Dörfer aus der Jungsteinzeit (5500 – 2000 v. Chr.),
die im Zuge des Forschungsprojektes „BELAVI“ im Sommer
und Herbst 2016 entdeckt wurden.
Zum Abschluss der diesjährigen Kampagne des multilateralen
Forschungsprojektes „BeLaVi“ (Beyond Lake Villages/=jenseits
der Seeufersiedlungen), das das Landesamt für Denkmalpflege
im Regierungspräsidium Stuttgart von 2015-2018 zusammen mit
Fachkollegen aus Österreich und der Schweiz durchführt,
stellten die Forscher der Baden-Württembergischen Landesarchäologie
vor Ort am Zellersee in Kißlegg, Lkr. Ravensburg am
Donnerstag letzter Woche die neuesten Projektergebnisse, die
angewendete Technik und Methoden vor.
„Bisher sind wir immer davon ausgegangen, dass die Bauern
der Jungsteinzeit im Gebiet des heutigen Baden-Württemberg
nur in der Donauregion, am Bodensee und rund um die oberschwäbischen
Seen siedelten“, sagte Prof. Claus Wolf, Präsident des
Landesamtes für Denkmalpflege im Regierungspräsidium
Stuttgart. „Jetzt wissen wir, dass sie ihre Dörfer durchaus
auch zwischen Schussen und Aitrach und im Alpenvorland errichteten.
Damit konnte eine Forschungslücke geschlossen werden“,
betont Wolf.
Die neuentdeckten, etwa 6000 Jahre alten, steinzeitlichen Dörfer
sind sehr unterschiedlich, sowohl was die Konstruktion ihrer
Häuser als auch ihre Lage in der Landschaft angeht:
Seeufersiedlungen, wie am Bodensee, wurden am Degersee
und wahrscheinlich am Schleinsee bei Kressbronn (beides Bodenseekreis)
lokalisiert.
Bei Bodnegg (Lkr. Ravensburg) und in Neukirch (Bodenseekreis)
wurden die Überreste von typischen Feuchtbodensiedlungen aufgedeckt,
wie sie z.B. von der UNESCO Welterbestätte Olzreute (Kr. Biberach)
bekannt sind. In Bodnegg wurde zudem eine mächtige Herdstelle
aus Lehm und Steinen freigelegt.
Bei Leutkirch (Lkr. Ravensburg) handelt es sich hingegen
um eine jungsteinzeitliche Höhensiedlung, die über
dem Flusstal der Eschach lag. Sie weist zusammen mit Einzelfunden
und den im Wasser und Moor erhaltenen Überresten von Wegen
auf uralte Verkehrsverbindungen zwischen Donauraum, bayerischem
Alpenvorland und der Bodenseeregion hin.
Weitere archäologische Geländearbeiten wurden in Ravensburg
und im Landkreis Ravensburg, so bei Vogt, am Rohrsee bei Rohrdorf,
am Mittelsee bei Primisweiler, bei Achberg sowie in der Hügellandschaft
rund um den Degersee vorgenommen. Hier in Kißlegg am Zellersee
fanden nun abschließende Tauchuntersuchungen statt.
Um alle Aspekte des täglichen Lebens in den Steinzeitdörfern
gründlich erforschen zu können, begleiten umfangreiche
naturwissenschaftliche Untersuchungen von Archäobotanikern,
Dendrochronologen und Sedimentologen die Arbeit der Archäologen.
So können die dendrochronologisch (durch wissenschaftliche
Bestimmung des Holzalters) jahrgenau datierbaren Siedlungsrelikte
präzise mit jährlich geschichteten Seeablagerungen verknüpft
werden. Zusammen mit den in den Seeablagerungen erhaltenen mikroskopisch
kleinen Pollenkörner von Pflanzen und Pilzsporen kann damit
zukünftig auf die jungsteinzeitliche Umwelt, das vor ca. 6000
Jahren herrschende Klima und die genaue Wirtschaftsweise der damaligen
Menschen geschlossen werden. Im Ergebnis wird das Projekt
BeLaVi ein Umwelt-, Wirtschafts- und Klimaarchiv mit einer
bisher auch im internationalen Rahmen nicht gekannten Informationsdichte
erstellen.
Ebenso wichtige wie auch bestürzende Erkenntnisse für
die konservatorische Arbeit der Landesdenkmalpflege lieferte das
Projekt BeLaVi quasi „nebenbei“: Die fortschreitende
Entwässerung der Moore und Feuchtwiesen führt unweigerlich
zur Austrocknung und damit zur endgültigen Zerstörung
dieser wichtigen Geschichtsquellen. Das Landesamt für Denkmalpflege
erarbeitet deshalb in engem Kontakt mit den Naturschutzbehörden
Konservierungs- und Rettungsmaßnahmen für diese Archive
der Vergangenheit.
Das BeLaVi Projekt ist multilateral mit insgesamt etwa 50 Archäologen
und Archäologinnen sowie Naturwissenschaftlern und Naturwissenschaftlerinnen
aus Deutschland (Baden-Württembergisches Landesamt für
Denkmalpflege/Dienstsitz Hemmenhofen), Österreich (Universität
Wien und Bundesdenkmalamt); und der Schweiz (Universität Bern)
besetzt. Wie sein abgekürzter Name schon sagt, Beyond Lake
Villages, ist sein Auftrag, die Region „Jenseits der Seeufersiedlungen“,
also im Hinterland der bekannten Pfahlbau- und Feuchtbodensiedlungen,
zu erforschen. |