Mode sprengt Mieder


 
 

Die Mode ist durch ihre Sprengkraft für das Phänomen von zahlreichen Silhouetten verantwortlich.

Das Schnürmieder fungiert durch sein Gerüst als Hilfsmittel der Mode, die weiblichen Silhouetten zu verwandeln und zu modellieren. Das Korsett formt, betont und prägt den Frauenkörper und das Verhalten. Das Mieder spielt trotz seiner Ambivalenz, trotz treuer Anhängerinnen und vehementer Gegnerinnen Jahrhunderte lang eine Hauptrolle auf dem gesellschaftlichen Parkett der Damenmode. Spannend sind daher auch die Zeiten, in denen sich die Damenmode tatsächlich von der Schnürung befreit.

In der Ausstellung werden in mehreren Stationen verschiedene Moden gegenübergestellt, die jeweils einen extremen Silhouettenwechsel zur Folge hatten. Das Münchner Stadtmuseum zeigt eine bunte und breit gefächerte Schau, welche die Sinnlichkeit von Mode in ihrer ganzen Vielfalt präsentiert mit zahlreichen originalen Damenkleidern, Schnürmiedern, Korsetts, Modekupfern, Modefotografien, Gemälden, Plakaten sowie Puppen.

1. Station: Schnürmieder im Rokoko (1770 - 1785)

RokokokleidDie Damenmode treibt in dieser Zeit üppige Blüten, indem die barocke Silhouette durch Schnürmieder und Reifrock hervorgerufen wird. Das beträchtliche Gewicht der Kleider und die Steifheit des Fischbeinstäbchen-Stützwerks prägen Haltung und Gestik der Frau. Das Schnürmieder ist vor allem ein pädagogisches Werkzeug in Sachen Anstand und Haltung, ein Vormund des Körpers. Gegen die Schnürleiber gibt es von Seiten der Ärzte und Philosophen (Rousseau) jedoch teils heftige Kritik. Durch die französische Revolution wird das Modediktat des Ancien Regime schließlich gestürzt.

2. Station: Die luftigen Chemisenkleider des Directoire und Empire (1790 – 1810)

ChemisenkleidBereits um 1780 kommt aus England der Anstoß zu einer bürgerlichen Mode, die den Reifrock, das Korsett und das gepuderte Haar allmählich ablösen soll. Auch die französischen Umstürzler von 1789 sehen in der an die Antike angelehnten Mode ihre freiheitlichen Ideale verwirklicht. Das wahrhaft revolutionäre aber ist das Fehlen der Schnürmieder und Korsetts; hat man doch in der französischen Mode seit über 200 Jahren nicht auf diese unbequemen und Figur beherrschenden Körperstützen verzichten können. Diese plötzliche Liberalisierung der Damenkleidung stößt im gesellschaftlichen Kontext oftmals auf heftige Ablehnung. Die Beseitigung der entstellenden Gerüste wie Reifrock und Korsett öffne der Unmoral Tür und Tor, so lautet die Sorge der Gesellschaft. Um 1815 kommen die Chemisenkleider im Stil der Antike endgültig aus der Mode.

Kleider des Rokoko und des Empire

3. Station: Gefangen im Korsett der Sans Ventre-Linie (1895 - 1905)

GesellschaftskleidEine Vielzahl von raffinierten Korsagenkonstruktionen wechseln sich das 19. Jahrhundert hindurch ab. Das S-förmig geschwungene Korsett der Sans Ventre Linie (zu deutsch: ohne Bauch) um 1900 dominiert die Damenmode für ein ganzes Jahrzehnt. Es gilt das Interesse und die Begierde des männlichen Geschlechts zu erwecken. Bis zur Groteske wird der Taillenumfang hierbei häufig verringert. In dem Gefühl ihrer optischen Schönheit und erotischen Ausstrahlung nimmt die Dame die Schmerzen, ja sogar die Gesundheitsschäden klaglos in Kauf, denn einer Frau mit schmaler Taille bieten sich automatisch die besten Partien. Versprechen doch die durch die Schnürung hervorgehobenen Brüste und das betonte Becken eine sinnliche und gleichzeitig gebärfreudige Gattin. Für die Frau in dieser Zeit gibt es kein größeres Glück und auch keinen größeren Wunsch, als gut verheiratet in der besseren Gesellschaft zu verkehren.

Karikatur auf die Mode der Schnürkorsetts

4. Station: Reformierte Mode und fließende Stoffe (1903 - 1915)

Gesellschaftskleid und AbendkleidAls Reaktion auf die herrschende Mode des späten 19. Jahrhunderts und der Jahrhundertwende kommt die Reformkleidbewegung in Gang, die von den Lehren Rousseaus beeinflusst ist. Die Stimmen von Ärzten und Aktivisten sowie die Ideale von Naturismus, freier Körperkultur und Ausübung von Sport sorgen für eine breit gestreute Diskussion in Sachen Reformkleidung. Die Künstler des Jugendstils fungieren als Fürsprecher einer ästhetischen Mode. Als Vorbild für die neue gesunde Silhouette stehen die antiken Frauengestalten Pate.

Das Korsett wird für Schädigungen an Gedärmen und Skelett verantworlich gemacht. Umso mehr hoffen die Ärzte auf die Anerkennung der Reformkleidung. Doch trotz der erfolgreichen Ausstellungen zu Reformkleidern und anderer Aktivitäten der Reformer, können sich die Kleiderentwürfe nicht in der breiten Öffentlichkeit durchsetzen. Bei der Diskussion um die Reformkleidung wird deutlich, dass das herrschende Modediktat, das die schmale Taille und das Sans Ventre Korsett vorsieht, der sackartigen Reformmode die Weiblichkeit abspricht: die Weiblichkeit mit ihrer Verführungskraft, Erotik, Körperlichkeit und Mutterschaft.

ReformkleidFast zeitgleich formiert sich eine korsettlose Haute Couture, denn bereits vor 1910 bricht in der Entwicklung der Mode eine neue Zeit an. Der Modeschöpfer Paul Poiret bringt mit seiner ersten eigenen Kollektion 1906 eine schlichte und schnörkellose Silhouette zum Vorschein, die sich als zukunftsweisend erweist. Poiret macht sich für seine Kreationen die Einfachheit der zeitgenössischen Reformmode zunutze, lässt sich aber ebenso von den hochtaillierten Chemisenkleidern beeinflussen. Durch seine künstlerischen Entwürfe wandelt sich die geschwungene, fließende Silhouette der Jahrhundertwende zu einer geraden und schmalen Fasson.

5. Station: Eng tailliert durch die Fünfziger Jahre (1949 - 1957)

Cocktailkleid1947 stellt Christian Dior seine neue Kollektion vor, die unter dem Titel „New Look“ Weltruhm erlangt. Ein neuer sehr weiblicher Frauentypus ist entstanden: runde weiche Formen bei Brust, Schultern und Hüften, dazu eine sehr schmale Taille. Nach den entbehrungsreichen Kriegs- und Nachkriegsjahren, in denen die Frauen „ihren Mann stehen“ mussten, wird der New Look mit Begeisterung begrüßt. Endlich kann sich die Frau wieder als Frau fühlen und ihre Weiblichkeit hervorheben. So erklärt sich, dass sich die Damenwelt bereitwillig dem Modediktat Christian Diors unterwirft und wieder zum Korsett greift. Die Idealmaße der damaligen Starmannequins beschwören die geschwungenen Silhouetten der Jahrhundertwende auf das neue. Das Modediktat der Fünfziger Jahre reduziert die Frau auf ihre optischen Reize und auf ihre Funktion als Repräsentationsfigur.

Cocktailkleid und Abendkleid

6. Station: Schick und schlank im Sechziger Jahre Look (1960 - 1968)

JackenkleiderDie Sechziger stehen im Zeichen der Jugend, die sich ihrer selbst bewusst wird: Frechheit, Spott und Freiheit heißt das Motto! Bereits Ende der Fünfziger Jahre entwirft die Engländerin Mary Quant ein kurzes Hemdkleidchen in Sack-Linie, das in krasser Ablehnung zur Wespentaille steht.

Es geht um den neuen selbstbewussten Frauentypus, der das Leben selbst bestimmt, die Freiheiten auslebt und der Berufstätigkeit nachgeht. Kleidung soll funktional und bequem, darf aber auch verspielt und Aufsehen erregend sein. André Courrèges ist es, der den Minirock in die Haute Couture einführt. Durch eine Mischung aus Weltraum-Look und Op-Art-Mode kreiert er seinen unvergleichlichen Stil. Die neuen Stoffe aus Chemiefasern bieten viele neue Möglichkeiten, den im Trend liegenden futuristischen und synthetischen Stil des Minimalismus in der Mode zu verwirklichen.

1964 landet ein bis dahin völlig unbekanntes Gesicht mit blondem Bubikopf auf dem Titel eines Modemagazins. Das Bild des spindeldünnen Mädchens macht weltweit Furore. Mit schlaksigen, langen Gliedern und kindlich naivem Gesichtsausdruck präsentiert sie den neuen Look der Sechziger Jahre in perfekter Weise. Eine kritische Entwicklung in Sachen extrem schlanker Vorbilder bleibt nicht aus, denn die normale Durchschnittsfrau kann bei Twiggys Maßen unmöglich mithalten. Durch die Ablegung des Korsetts wird das Schlankheitsdiktat demnach keineswegs reduziert, sondern bleibt Schönheitsideal.

Ausblick 2010

Wie geht die Mode heutzutage mit den Körperformen um: wo nimmt sie etwas weg, wo fügt sie etwas hinzu, wo engt sie ein, wo lässt sie locker? Das Thema Schnürung übt nach wie vor eine Faszination auf die Modemacher und das Publikum aus und kehrt regelmäßig auf die Laufstege und in die Modejournale zurück. Zweifellos dominiert nicht nur eine einzelne Modesilhouette den Bekleidungsmarkt, denn den Kombinationsmöglichkeiten sind keine Grenzen gesetzt. Erlaubt ist was gefällt! Der Ausblick 2010 wird gestaltet und umgesetzt von der Deutschen Meisterschule für Mode München.

Zur Ausstellung erscheint beim Hirmer Verlag ein gleichnamiges Katalogbuch mit 144 Seiten, 69 Farbtafeln, 86 überwiegend farbigen Abbildungen, 24 x 28 cm, Klappenbroschur, Gestaltung von Katja Durchholz, zum Preis von 19,50 €.

Öffentliche Führungen durch die Ausstellung: donnerstags, 11. und 25. Februar, 11. und 25. März, 14. April und 6. Mai, jeweils um 16.00 Uhr; Treffpunkt im Foyer

    Texte und Bilder © Münchner Stadtmuseum

im Detail:

Website:

Münchner Stadtmuseum
Historisches Museum Saar

siehe auch:

 

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