Kurpfalzoder das doppelte Lottchen |
1795, nach der Eroberung der linksrheinischen Kurpfalz durch die Truppen der französischen Revolution, verzichtete Preußen im Frieden von Basel auf seine Ansprüche auf linksrheinische Territorien gegenüber der Regierung Frankreichs und begründete damit die Spaltung der Kurpfalz, die sich über die folgenden zwei Jahrhunderte fortsetzte und zementierte. | |||
Der linksrheinische Teil wurde 1815 bayerische Pfalz, dann Teil des Bundeslandes Rheinland-Pfalz, der rechtsrheinische Teil kam 1803 zu Baden und ging 1952 im Bundesland Baden-Württemberg auf. Zusammen fanden sie nie wieder, die beiden Teile. | ||||
Die Geschichtsschreibung war lange Zeit auf die Zentren und
die von ihnen ausgehende Sehweise fixiert: München hier, Karlsruhe,
dann Stuttgart da. Für die Geschichte der Kurpfalz war der Ansatz noch
leicht, hier war das alte Kurfürstentum ein durchweg geeigneter Ansatz,
um die Geschichte der rheinischen Pfalz" (Ludwig Häusser, 1843)
oder die Geschichte der Kurpfalz" (Meinrad Schaab, 1988) als die
Ge-schichte eines der alten Territorien des Deutschen Reiches darzustellen.
Aber schon was die Kunst- und Kulturge-schichte der rechts- und der
linksrheinischen Pfalz angeht, sind Darstellungen wie die Kulturreiseführer
aus der Pfälzischen Verlagsanstalt in Landau (Romanik von Richard W.
Gassen, 1991, und Gotik von Leonhard Emmerling, 1994) eher die Ausnahme.
Daß der Raum zwischen Kaiserslautern und Heidelberg wieder als Einheit be-griffen wird, ist das Verdienst einer Ar-beit aus der Landeszentrale für politische Bildung in Stuttgart, ist das Ver-dienst des 25. Bandes der Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Würt-tembergs mit dem schlichten Titel Kurpfalz". Die Wandlung des Kurpfalz-Begriffes zeigt sich im geographischen Rahmen, der der Arbeit zugrundeliegt. Er umfaßt nicht nur die klassischen Kurpfalz-Städte Heidelberg, Mannheim, Neustadt und Kaiserslautern, sondern auch - völlig unhistorisch - Speyer und Worms. Auch ein historischer Begriff macht also eine gewisse Wandlung durch. Das Buch selbst ist in drei große Teile gegliedert: Einer Übersicht über die Gesamtzusammenhänge" folgen Besonderheiten" und fünf Städtebilder". Gesamtzusammenhänge, das sind Notizen zur Ereignisgeschichte des Raums aus der Feder des Herausgebers Alexander Schweikert. Sie schlagen den Bogen von der Begründung des pfälzischen Territoriums durch Salier und Staufer bis zur Auflösung der Kurpfalz 1803 - die wiederum schon durch den Erbantritt Carl Theodors in München 1777 vorgezeichnet war. Die politische Geschichte setzt sich anschließend in weiteren Beiträgen fort bis zur Grün-dung der beiden Bundesländer (Wilhelm Kreutz) und dem Aufbau der Verwaltungen nach 1945 (Joachim Stephan). Sind diese Kapitel über die Zeit nach 1795/1803 noch notwendig auf die jeweilige staatliche Struktur fixiert, sehen die beiden folgenden Beiträge über die Kurpfalz als Natur- und Wirtschaftsraum" (Ulrike Sailer-Fliege) und die Pfälzer »hiwwe un driwwe«" (Rosemarie Wehling) den Raum als die Einheit, die er nun einmal von seiner Landesnatur her seit je und von seiner Geschichte seit dem Herrschaftsantritt Konrads von Staufen und der Wittels-bacher ist. Historische Komponenten der Kurpfalz einerseits, des Pfälzer Raums anderer-seits stellen zwei Beiträge über Reformation und Calvinismus (Heinz Schei-ble) und die Pfalz als Ein- und Aus-wanderungsland (Roland Paul) dar. Sowohl von der großen" Bevölke-rungspolitik als auch von der Fülle der Einzelschicksale her ist das eines der interessantesten Kapitel. Es zeigt den Umschwung im Charakter der Kurpfalz als eines der großen Einwanderungs-länder des 16. und 17. Jahrhunderts, das vielen Immigranten aus den reformierten Gebieten der Niederlande und Frankreichs, dann aus der Schweiz und aus Vorarlberg eine neue Heimat bot, zu einem der klassischen" Auswande-rungsländer. Ein- und Auswanderung bedeuten immer auch Assimilation: As-similation der Hugenotten in der Pfalz, verdeutlicht durch zahllose Mannhei-mer Namen französischer Herkunft, Assimilation aber auch der Auswande-rer in Pennsylvanien. Sie ging Benja-min Franklin 1751 nicht schnell genug und ließ ihn das Wort von den Pfälzer Bauernlümmeln" prägen, die in Rudeln zusammenwohnen" und ihre Sprachen und Sitten befestigen zum Verderben der unsrigen". Er fürchtete einen Verlust der englischen Eigenhei-ten im Land zugunsten einer pfälzi-schen Germanisierung. Gegenwartsbezug und Aktualität im Sinne der nie verstummenden Neugliederungsdiskussion hat der Beitrag von Klaus-Jürgen Matz über den Rhein-Neckar-Raum in der deutschen Neugliederungsdiskussion seit 1919". Er stellt allerdings als Resumée seines Beitrags fest, daß nicht eine Länderneugliederung Ziel der Bemühungen sei, sondern eher eine zunehmende Ko-operation über die bestehenden Gren-zen hinweg. Der Band wird abgeschlossen mit ei-nem Porträt der Städte Speyer (Wolfgang Eger), Heidelberg (Andreas Czer), Kaiserslautern (Gerhard Kaller), Mannheim (Hansjörg Probst) und Lud-wigshafen (Stefan Mörz). Ministerpräsident Erwin Teufel begrüßte bei der Vorstellung des Buches im Mannheimer Reiß-Museum die Bemühungen von Landeszentrale, Herausgeber, Verlag und Autoren und empfahl das Werk allen Kurpfälzern als Hausbuch". Es sei identitätsstiftend für den Nordwesten des Landes. Dazu muß man auch das Schlußwort von Klaus-Jürgen Matz in seinem Kapitel lesen, daß Kurpfälzer Bewußtsein auch den Bestrebungen im Land entgegenwirken muß (und kann), die Baden-Württembergische Identität als eine schwäbische Identität zu definieren und die Geschichte des Landes nur als eine Geschichte der beiden großen" Landesteile zu sehen. Und das doppelte Lottchen von der Überschrift? Einheit der Kurpfalz im historischen und kulturellen Sinn ist eine Sache. Ei-ne andere Sache ist es, ein Buch her-auszubringen, das in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg kurpfälzische Identität beschreiben soll. Ein Buch ist es geworden, aber das rechtsrheinische Buch hat einen linksrheinischen Zwillingsbruder. Einen Zwillingsbruder, der inhaltlich iden-tisch ist (geklont, würde man heute sagen), nur einen anderen Anzug hat er an. |
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