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Jean Tinguely - „Stillstand gibt es nicht!“

6. Oktober 2002 bis 19. Januar 2003
Städtische Kunsthalle Mannheim

Jean Tinguely zählt heute zu den herausragenden Vertretern der Kinetik, jener Kunst, die in den Sechzigerjahren beginnend Skulpturen und Objekte mit sich tatsächlich bewegenden Teilen schuf. Dabei war es der Gedanke vom bewegten Kunstwerk als einer unproduktiven Maschine zur einfachen ästhetischen Erfahrung, die den Betrachter zum heiterem Verweilen und oft auch zum aktiven Spiel aufforderte, mit der tinguely maßgeblich die Szene seiner Zeit bestimmte. Die internationale Anerkennung seines Werkes setzt sich bis heute fort. Seine Maschinen-Skulpturen gehören in den Sammlungsbestand der renommiertesten Sammlungen der Welt; seit 1996 ist sein umfangreiches CEuvre im Tinguely Museum in Basel ausgestellt.

Die Städtische Kunsthalle, überregional bekannt durch ihre Skulpturensammlung, in deren Bestand auch eine Arbeit Jean Tinguelys gehört, hat in Kooperation mit dem Tinguely Museum Basel unter dem Titel „Jean Tinguely - Stillstand gibt es nicht!" eine Werkschau mit circa 40 großformatigen Arbeiten aus allen Schaffensperioden des Künstlers zusammengestellt -Leihgaben des Tinguely-Museums Basel, ergänzt durch Werke aus Privatbesitz und anderen internationalen Museen. Von den ersten ,,meta-mechanischen Reliefs" Ende der 50er Jahre über die skurrilen Schrottplastiken der Sechziger- und Siebzigerjahre bis hin zu den späten Werken voller Todesahnung wird den Besuchern beispielhaft die phantastische Welt Tinguelys vor Augen und Ohren geführt. Eine Auswahl an Zeichnungen, voll überbordender Kreativität und Spontaneität, ergänzt das dreidimensionale Werk. Die Kunsthalle Mannheim und Ausstellungs-GmbH, finanziell unterstützt vom Roche-Konzern in Basel und Röche Diagnostics Mannheim, zeigt die Ausstellung vom 6. Oktober 2002 bis 19. Januar 2003 in den zwei Geschossen des Neubauflügels und im Grafischen Kabinett des Hauses.

Das Schlüsselwort für Tinguelys Kunst ist die visuell oder akustisch erfahrbar gemachte Bewegung. Sie ist das Leitmotiv seiner künstlerischen Arbeit: „Es bewegt sich alles, Stillstand gibt es nicht", so der Künstler 1959.

Von Basel nach Paris gekommen, schuf Tinguely 1954 seine ersten „meta-mechanischen Reliefs": Arbeiten aus geometrischen Formen in Weißblech, die vor schwarzen, kastenförmigen Hintergründen auf Achsen gesetzt sind und sich, von Motoren angetrieben, bewegen. Bald darauf begann er, die Motoren auf der Vorderseite der Reliefs anzubringen und die Antriebsteile sichtbar zu machen.

Mit den seit 1959 entstehen „Métamatics", den „Zeichenmaschinen", gelang es Tinguely erstmals die Betrachter als aktiv Handelnde in das künstlerische Geschehen einzubeziehen. Mit Hilfe dieser Malmaschinen konnte der Benutzer auf mechanischem Wege abstrakte Kunstwerke herstellen, von denen keines dem anderen glich: ein Affront gegen die damals fest etablierte Kunst des Informel, Tachismus und Abstrakren Expressionimus.

Als Material für seine lärmenden, von Motoren betriebenen Maschinenplastiken der 60er Jahre dienten dem Künstler vorwiegend Metallteile, die er auf dem Schrottplatz fand. Diese zwecklosen Maschinen, pendelnd zwischen spielerischem Witz und bedrohlicher Aggressivität, spiegeln einerseits Tinguelys Technikbegeisterung wieder, andererseits ironisieren sie die moderne Industriewelt wie auch den Kunstbetrieb durch ihre absurde Lächerlichkeit und Sinnlosigkeit. In diesem Sinne sind auch seine sich selbst zerstörenden Maschinen zuverstehen: 1960 baute Tinguely im Garten des Museum of Modern Art in New York eine Maschinen-Skulptur, die sich in einem Happening selbst zerstörte.

Seit 1964 nahmen Tinguelys Werke immer stärker monumentale, skulpturale Formen an, sie erscheinen im Bewegungsverlauf stärker vereinfacht und durch schwarze Bemalung vereinheitlicht.

Seiner Leidenschaft für Autos setzte er in den aus verfallenen Karosserien aufgebauten Autoskulpturen ein Denkmal, in der Ausstellung vertreten durch „Le Safari de la Mort Moscovite", eine Fahrskulptur aus einem alten Peugeot Safari. Anfang der 80er Jahre begann eine Schaffensphase, die von einer barocken, kaum überschaubaren Fülle gekennzeichnet ist. Mit Glühbirnen und Tierskeletten tauchen neue Materialien auf, altarähnliche Kompositionsformen erwecken religiöse Assoziationen. Der witzige, heitere Ton weicht zunehmend einer dämonischen, chaotischen Sprache, die Tinguelys Auseinandersetzung mit dem Thema Tod reflektiert.

Jean Tinguely wurde 1925 in Fribourg geboren. Nach dem Abbruch einer Lehre als Schaufensterdekorateur besuchte er Kurse der Kunstgewerblichen Abteilung an der Allgemeinen Gewerbeschule in Basel (bis 1944). 1953 heiratete er die Künstlerin Eva Aeppli, im selben Jahr zogen die beiden nach Paris. 1955 begegnete er Niki de Saint Phalle, mit der er seit den 60er Jahren lebte und gemeinsame Projekte realisierte. 1960 zählte er neben Arman, Cesar, Yves Klein, Niki de Saint Phalle und Daniel Spoerri zu den Mitbegründern der „Nouveaux Realistes". Gemeinsam mit Niki de Saint Phalle und P.O. Utveldt gestaltete Tinguely 1966 in Stockholm eine große begehbare „Nana". 1969 begann er im Wald von Fontainebleau mit dem Bau des „Zyklopen", einer riesigen grotesken Skulptur, an der neben Niki de Saint Phalle auch Künstlerfreunde wie Arman, Bernhard Luginbühl, Rafael Soto und Daniel Spoerri mitarbeiteten. Für den urbanen Raum schuf Tinguely verschiedene

Brunnen mit spielerisch heiterem Charakter („Fastnachtsbrunnen", Basel 1977; Strawinsky-Brunnen, Paris 1983 zusammen mit Niki de Saint Phalle). Aktionen wie „Etüde pour un fin du Monde No.1" im Louisiana Museum, Humlebaek 1961, und „End of the World No.2" in der Wüste von Nevada 1962 sowie das seit 1968 gemeinsam mit Luginbühl entwickelte, allerdings nicht realisierte Konzept für eine große begehbare Kulturstation spiegeln Tinguelys Vorstellung von einer dynamischen Ausstellungs- und Kunstwelt, die bis heute nichts von ihrer Faszination und Aktualität eingebüßt hat. Tinguely starb 1991 in Bern.

Zur Ausstellung erscheint im Prestel-Verlag München ein 220-seitiger Katalog mit Texten von Hans-Jürgen Buderer, Manfred Fath, Inge Herold, Thomas Köllhofer, Jochen Kronjäger, Andres Pardey, Christmut Präger und Jürgen von Schemm zum Preis von 25 €.

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>> Tinguely-Brunnen in Basel
>> Tinguely im Internet


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