Dem Rheinfall,
dem bedeutendsten Wahrzeichen Schaffhausens, wird im Museum zu Allerheiligen
wieder einmal die Reverenz erwiesen. Gelegenheit dazu bestand bisher
meist im Zusammenhang mit Werken der Bleulerschen Malschule, die
in Feuerthalen und auf Schloss Laufen zwischen 1780 und 1870 entstanden.
Die Kleinmeister galten als "Lieferanten" von Landschaftsansichten
vor der Postkarte und der Fotografie. Unter der Ägide von Vater
Johann Heinrich, Sohn Johann Ludwig (Louis) und dessen Frau Antoinette
Bleuler, kam es zu einer erfolgreichen Vermarktung des Rheinfalls,
aber auch der Rheinansichten von der Quelle bis zur Mündung. Die
neu zusammengestellte Kabinettausstellung beschränkt sich in drei
Räumen auf das Motiv des Rheinfalls und zeigt diesen in Ansichten
aus dem 16. bis ins 21. Jahrhundert. Die Werke illustrieren, wie
diesem Naturschauspiel eine permanente Aufmerksamkeit zuteil wurde,
wenn auch unter ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten. Seit dem
Mittelalter ist der gewaltigste Wasserfall Zentraleuropas in" zahlreichen
Publikationen immer wieder beschrieben worden. Die Fülle an überlieferten
Abbildungen des Naturphänomens beginnt aber erst im 16. Jahrhundert.
Die früheste bekannte Darstellung stammt aus dem Jahr 1544 und findet
sich in Sebastian Münsters Cosmographia (Basel 1544). Sie zeigt
lediglich die Felsen und die gigantisch in die Tiefe hinabstürzenden
Wassermassen (Vitrine). Im Text zu Münsters knapper Darstellung
erfahren wir, dass es "ein grausam ding zuo sehen ist und dass do
kein schiff abher kommen mag, änderst zerfiel es in tausend stuck".
Hier kommen zwei negative Aspekte zum Ausdruck: der Rheinfall als
Hindernis für die Schifffahrt und das Schreckliche, Beängstigende,
ja Absonderliche des Kataraktes, ähnlich wie es auch im späten 18.
Jahrhundert wieder der Fall sein wird. Ein Naturereignis, dessen
Betrachtung Empfindungen zwischen Grauen und geheimer Lust hervorruft,
wie die Alpen, schaurig und schön zugleich. Die zweite Darstellung
aus dem 16. Jahrhundert stammt aus der Schweizerchronik des Johannes
Stumpf (1548). Hier wird der Rheinfall bereits in die Umgebung eingebettet
bzw. von den von Menschen gestalteten Bauten eingerahmt: links sind
es die Eisenwerke, rechts sind es das Schloss Laufen und das Schlösschen
Wörth (Vitrine). Und Matthias Merians Kupferstich von 1642 schliesslich
geht noch weiter und zeigt Boote und Handeltreibende am Fusse des
Rheinfalles. Diese beiden Bilder verweisen bereits
auch auf
den praktischen Nutzen der gewaltigen Wassermengen für die an
den Flanken des Rheinfalles angesiedelten Mühlen.
Die erste
wirkliche Blütezeit der Bewunderung des Kataraktes fällt aber
er erst in die Zeit zwischen 1750 und 1850, dem Aufschwung des
Schweizer Reisetourismus. Dahinter stand die Aufklärung, die Europa
für die Schweiz begeisterte. Wegbereiter für die umfassende Bewegung
der Naturbegeisterung wiederum waren Geistesgrössen wie Rousseau,
Klopstock, Goethe, Lavater und Byron. Angesichts der tosenden
Naturgewalt verspürten die meisten Besucher vergleichbare Empfindungen,
wie sie gerade auch im Anblick des Hochgebirges ausgedrückt wurden:
Erstaunen, Schrecken und Bewunderung, ein Gefühl des Erhabenen
und Lobpreisungen des Schöpfers. Zitat Klopstock: "Hier im Angesichte
des grossen Rheinfalles, in dem Getöse seines mächtigen Brausens,
auf einer holdseligen Höhe im Grase gestreckt, hier grüsse ich
Euch, nahe und ferne Freunde ....O! dass ich Alle, die ich liebe,
hier versammeln könnte, mit ihnen eines solchen Werkes der Natur
recht zu geniessen! Hier möchte ich mein Leben zubringen und an
dieser Stelle sterben, so schön ist sie."
Reisen gehörte
zu den höheren Zwecken der Bildung und des Vergnügens, waren jedoch
nur einer dünnen Oberschicht vorbehalten. Im 18. Jahrhundert aber
kam es zu einer gewissen Breitenwirkung, welche auch die wohlhabenden
Bürger miteinschloss. Damit steigerte sich auch die Nachfrage
nach den Veduten, die den Rheinfall nun in allen Schattierung
von erhaben über wild, romantisch, lieblich, phantastisch, realistisch,
abstrakt bis banal festhielten.
Die Ausstellung
ermöglicht einen guten Überblick über fast alle Darstellungs-
und Spielarten im Umgang mit dem Rheinfall und seiner Umgebung.
Schwerpunkte bilden Blätter aus dem 19. Jh. von der Hand von William
Turner, Vater und Sohn Heinrich und Johann Ludwig (Louis) Bleuler,
Emanuel Labhardt, Rudolf Weinmann und als einziger Frau von Nanette
Bleuler. Das 20. Jh.und 21. Jh. ist vertreten mit Arbeiten von
Viktor Surbek, Josef Gnädinger, Erwin Gloor, Daniela Keiser und
Cecil Wick.
H.v.R.
Führungen:
Mittwoch, 5. November 2003, 12.30 Uhr Mittwoch, 10. Dezember 2003,
12.30 Uhr Mittwoch, 10. März 2004, 12.30 Uhr
Zur Ausstellung
erscheint kein Katalog.
Siehe aber:
Ausst.-Kat. Werner Rutishauser, Die Bleuler und der Rhein. Von
majestätischen Gletschern, tosenden Katarakten und schauerlichen
Burgen. Museum zu Allerheiligen Schaffhausen/Sturzenegger-Stiftung,
Schaffhausen 1997
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