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Der Zwang zur 111

111 Orte in Mannheim / der Kurpfalz, die man gesehen haben muss

Nina Pfister: 111 Orte in Mannheim die man gesehen haben muss. Emons-Verlag, 2014Thomas Baumann: 111 Orte in der Kurpfalz die man gesehen haben muss. Emons-Verlag,2012Es könnte eigentlich ein breites Spektrum an Sehenswertem sein, das hier aufgeblättert wird, ein Spektrum, das die Vielfalt dessen wiedergibt, was Mannheim (oder die Kurpfalz, oder….) ausmacht. Eigentlich.

Eigentlich auch eine gute Sache, die Vielfalt darzustellen und den Bogen aufzublättern.

Wenn es da nicht den Zwang zum besonderen Titel gäbe, den Zwang zur runden Zahl, dem man dann sich als Autor auch unterwerfen muss. 111 Orte müssen es sein, keiner mehr und keiner weniger. Da ist bei einer Region die Auswahl größer, und bei einer Stadt, selbst bei einer Großstadt, die Auswahl vielleicht kleiner.

Das Konzept des Bandes ist gut: Orte aufzulisten, kurz ihre Besonderheit darzustellen, dann die notwendigen Informationen dazu zu geben. Der rebellische Geist wird freilich den Titel („Orte…, die man gesehen haben muss“) mit einem klaren „Ich muss gar nichts!“ quittieren.

Muss man?

Wenn man die Seele und die Eigenheit eines Ortes oder einer Region kennen lernen und in sich aufnehmen will, dann sollte man. Eindeutiges Ja.

Muss man? Was, wenn man es nicht tut? Hat man dann keinen Anteil an der Seele oder nur keinen am Lifestyle?

Was ist das Besondere an Mannheim? Der Renaissance-Grundriss? Die Lage an Rhein und Neckar? Die Weltoffenhit der Stadt und ihrer Bewohner? Von der Geschichte sicher das Schloss, die Geschehnisse zu Beginn der Revolution 1848/49. Von der Kultur das Hoforchester der Carl-Theodor-Zeit, das Nationaltheater, die Popakademie, von Museen und Galerien die Reiss-Engelhorn-Museen mit einem sehr weit gespannten Netzwerk an internationalen Beziehungen und eine der ersten städtischen Kunstgalerien Deutschlands. Schließlich von der Technik Carl Benz und der Freiherr von Drais.

Vermutlich war es das Bestreben der Autorin, „ihre“ Orte punktgenau zu verorten, Das Inhaltsverzeichnis ist wie der ganze Band alfabetisch geordnet, ein Stadtplan wird am Ende des Bands angeboten. Insider wissen, dass sich in den Lauerschen Gärten ein Stück barocker Festung erhalten hat. Hier ist dann auch die „Quadratestadt“ erwähnt. MIt der strengen alfabetischen Gliederung bleibt alle Erkenntnis Stückwerk.

Die Neckarspitze, der Zusammenfluss von Rhein und Neckar, wird blumig mit dem Gedicht „Bald gras ich am Neckar, bald gras ich am Rhein“ unterlegt, aber nicht viel mehr. „Klein Istanbul“ mag für Toleranz und Weltoffenheit stehen, das Stadtviertel mit mehrheitlich türkischer und türkisch-stämmiger Einwohnerschaft auf ein Geschäft mit „protzig bis kitschigen“ Braut- und Abendmoden zu reduzieren, tut dem Viertel wohl unrecht.

Das Schloss – Fehlanzeige. Die Revolution von 1848/49 wird an einer Stelle vorgestellt, wo nur eine Straße den Namen eines Revolutionärs trägt. Das Mannheimer Hoforchester des 18. Jahrhunderts wird uner dem Stichwort der Stamitzstraße vorgestellt, das Nationaltheater findet sich dann da, wo man es sucht.

Popakademie – wieder Fehlanzeige. Ebenso die Reiss-Engelhorn-Museen und das Zeughaus. Von der Kunsthalle ist offenbar nur das café konkav eine Erwähnung wert. Carl Benz wird mit seinem Denkmal gewürdigt, Drais kommt zu kurz. Das Relaishaus im Stadtteil Rheinau dient als Memo-Ort für Schloss und Schlossgarten Schwetzingen.

Ein wertvoller Schatz der Mannheimer Industriegeschichte sind die erhaltenen Arbeitersiedlungen, von denen die Rhenania-Siedlung (Rheinau), die Bopp und Reuthe-Siedlung und die Spiegelkolonie (beide Waldhof) exemplarisch vorgestellt werden. Dass es noch mehr in der Stadt gibt, hätte erwähnt werden sollen.

Das Buch ist deswegen sicher nicht "schlecht" in des Wortes bösem Sinn. Es zeigt Orte auf, an denen man sonst vorbeigeht, ohne sie zu beachten - wenn man denn überhaupt dort vorbei kommt. Ob man beispielsweise auch die Eugen-Neter-Schule "gesehen" haben muss, um ihre Leistung in der Integration Beeinträchtigter zu würdigen, sei dahin gestellt.

Zum entsprechenden „Kurpfalz“-Buch ein Wort zuvor. Man tut der „alten“ Kurpfalz unrecht, wenn man sie auf die Metropolregion beschränkt. Kurpfalz ist größer. An einigen Orten auch weniger. Speyer gehört historisch nicht dazu, Worms ebenso wenig.

Aus dem Buch "111 Orte ind er Kurpfalz...."Dass das charakterisierende Gemeinsame die Verwüstung in den Bauernkriegen sei, weswegen hier „sonst … wesentlich mehr mittelalterliche Gebäude“ stehen würden (so das Vorwort), ist einfach falsch. Gemeinsam traumatisierendes Element ist die französische Verwüstung 1688 – 93, aber sie hat in mehr als nur kurpfälzischen Köpfen nationalistisches Unheil angerichtet. Und die Hieb auf „Heimat- und Kulturbüttel“, die alles Alte zeigen wollen, weil es alt ist, der dürfte längst überholt sein.

„Abseits der bekannten Pfade“ will der Autor zu ungewöhnlichen, skurrilen und spannenden Orten führen, „die … staunen lassen“. Das ist ein durchaus berechtigtes Anliegen. Diesem Anliegen darf man dann aber nicht den Titel „Orte … die man gesehen haben muss“ geben. Der Abraum vom Bau des Schriesheimer Branichtunnels in Ladenburg gehört da sicher nicht dazu.

Sachliche Kritik bewegt sich auch hier zwischen der Kritik an Falschem (die Stiftskirche Mosbach ist eben kein Simultaneum), an Überflüssigem (der Schatz von Neupotz hat mit dem Nibelungenschatz nichts zu tun, da wäre ein Hinweis auf das Museum besser gewesen als einer auf den Altrheinarm, wo er herkam) und an Überholtem (seit 2012 wird an der Burg Wersau durchweg fleißig gegraben).

Nina Pfister: 111 Orte in Mannheim die man gesehen haben muss. Emons-Verlag, 2014

Thomas Baumann: 111 Orte in der Kurpfalz die man gesehen haben muss. Emons-Verlag,2012

 

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