Es gibt mehrere Gründe, diesen Sammel band, entstanden
im Auf- trage des Fördervereins der ehemaligen Synagoge
mit Beiträgen von U. Baumann, R. Franken stein, R. Kreplin,
Th. Mietzner, M. Müller, K. Pflug, U. Schellinger und J.
Stude, auch wirklich zu erwerben: Erstens als eine in bewährter
Verlagstradition herausragende Edition mit festem Einband
inklusive Umfang und Preisgestaltung (wenn auch letztere
mittels Förderung seitens der Landeszentrale für politische
Bildung Baden-Württemberg) und zweitens zur Unterstützung
des Vereins. Drittens jedoch -und das macht fraglos den
eigentlichen, den inhaltlichen Wert des Buches aus - ist
es ein Zeugnis eines zu unseren Lebzeiten wohl kaum versiegenden
Themas, nämlich des Schicksals deutscher Juden und ihrer
religiösen Traditionspflege, konkret der einhundertfünfzigjährigen
Geschichte der Ortenauregion bis in die jüngere Vergangenheit.
Eine Dokumentation indes nicht am Beispiel einer anonymen
Minderheit der Bevölkerung, sondern lebendig durchsetzt
mit wirklichen Personen nebst deren Foto-Portraits. Kurz,
es begegnen einem hier Menschen und nicht nur Namen: als
Opfer, als Täter und als Unbeteiligte. Als "Unbeteiligte"
-? Und "lebendig" durchsetzt -? - Wer sich etwas intensiver
zum Beispiel mit den Umständen der Oktober-Deportierung
1940 von sechseinhalbtausend badischen und saarpfälzischen
Juden ins südwestfranzösische Lager Gurs auseinandergesetzt
hat (s. den Beitrag des Rezensenten in "Badische Heimat"
Nr. 1/2001, Seiten 123-134), dem stockt unwillkürlich der
Schreibstift bei dieser Wortwahl im Angesicht von Bildern,
da Kinder der angeordneten "Abschiebung" dieser Menschen
zuschauen (S. 95) oder einem die Gedenkliste von dreißig
ermordeten Jüdinnen und Juden aus dem vergleichsweise kleinen
südbadischen Kippenheim präsentiert wird (S. 274/5).
Die Geschichte der 1852, zu Zeiten des Großherzogs Friedrich
I. erbauten (dritten) Synagoge ist also "ohne die Geschichte
jener Menschen, die sie mit Leben erfüllten", oder die sie
nach dem Kriege zeitweise als Warenlager verfremdeten, überhaupt
nicht denkbar. Ein Gebetsplatz und Versammlungsraum mit
einer "im Rundbogenstil gehaltenen Doppelturmfassade ...
aus weißem und rotem Sandstein. .. mit Dreiecksgiebel und
zinnenbekrönten Turmstümpfen. .. nach Kasseler Vorbild"
(ein Autor F. J. Ziewes an anderer Stelle), der die örtliche
Poststraße prägend mitgestaltet hat. Sinnvollerweise beginnt
daher der Inhalt mit der Baugeschichte der Kippenheimer
Synagoge mit so reichhaltigem Dokumentenmaterial, dass man
auch die früheren Arbeiten des Autors Jürgen Stude, zugleich
Erster Vorsitzender des Fördervereins der heutigen Gedenkstätte,
aber auch die der anderen Beiträger, einmal beachten sollte.
Fortgesetzt wird der Inhalt mit der 90jährigen Entwicklung
der jüdischen Gemeinde nebst Gottes haus bis 1940 und ihres
religiösen Lebens sowie mit dem wichtigen Kapitel zur Bedeutung
von Zeitzeugen, in welchem der Herausgeber selbst ein Stück
weit "oral history" wiedergibt. Einer der Ansprechpartner
und Fotografierten, Jahrgang 1919 und heute in Israel lebend,
Eltern in Auschwitz ermordet, vermittelt durch seinen traurigen
Blick einen Eindruck, der sich dem Rezensenten bei anderen
Opfern schon vorher gelegentlich bot: ein erschütterter
Mensch, der nicht mal mehr zu weinen imstande ist. - Sodann
folgen Beschreibungen zur Ausplünderung und Profani- sierung
des Hauses zwischen 1938 und 1956 sowie zur Nutzung als
Verkaufslager bis 1972, Erwerb durch die Gemeinde und schließlich
zur Etablierung der Synagoge als Gedenkort von 1983-1996
mit den ein hergehenden Restaurierungsmaßnahmen. Die Erörte
rung der Gründungsphase und weiteren Arbeit des Fördervereins
sowie eine Betrachtung des Leiters für "Gedenkstättenarbeit"
in der o. g. Landeszentrale bilden den Abschluss dieser
lehrreichen Sammel edition.
Hans-Detlef Mebes