Der Karlsruher Fußballverein (KFV) von 1891, nicht zu
verwechseln mit dem Karlsruher Sportclub (KSC), der aus dem Karlsruher
FC Phönix und dem VfB Mühlburg hervorging, erlebte
seine Glanzzeit vor dem Ersten Weltkrieg. Protektor war kein
Geringerer als Prinz Max von Baden. Unter dem englischen Trainer
William Townley wurde der Verein 1910 in Köln Deutscher
Meister. Einer der Stars auf dem Spielfeld von damals war Julius
Hirsch (1892— 1943), dem Werner Skrentny das vorliegende
Buch widmet. Er nennt es »Biographie eines jüdischen
Fußballers«. Es ist jedoch mehr, denn es behandelt
zugleich Hirschs ebenfalls jüdischen Vereinskameraden Gottfried
Fuchs (1889-1972), der 1910 mit von der Partie war und 1912 bei
der Olympiade mit zehn Treffern gegen Russland den bis heute
gültigen Torjägerrekord der deutschen Länderspielgeschichte
hält. Der Autor bietet einerseits faktenreiche Viten der
beiden prominenten Karlsruher Sportler, andererseits ging er
der Frage nach, wie die Sportpresse und der Deutsche Fußballverband
mit deren Andenken umgingen: Nach 1933 verschwanden die Namen
Hirsch und Fuchs aus der Liste der Nationalspieler, nach 1945
kam die Rückbesinnung eher schleppend in Gang.
Julius Hirsch trat schon als Zehnjähriger in den KFV ein.
Die Oberrealschule, die er bis zum Einjährigen besuchte,
die Handelsschule und die anschließende Kaufmannslehre
ließen ihm Luft zum Training. Mit 17 stieg er in die Erste
Mannschaft auf. Jul- ler nannten ihn seine Kameraden. Mit 18
verhalf er seinem Verein zur Meisterschaft. Danach wurde er regelmäßig
in die süddeutsche Auswahl und die Nationalmannschaft berufen.
Die Liste seiner Erfolge ist lang, wird im Text kommentiert und
im Anhang übersichtlich aufgelistet. Aus beruflichen Gründen
verließ Hirsch Karlsruhe 1913, nahm bei der Nürnberger
Spielwarenfabrik Gebrüder Bing eine Stelle an und wechselte
vom KFC zur Spielvereinigung Fürth, die den »Internationalen« mit
offenen Armen aufnahm. Er traf hier seinen Entdecker wieder,
den Trainer William Townley, der Karlsruhe 1911 verlassen hatte.
Im Mai 1914 gab es einen Erfolg zu feiern: Fürth wurde Deutscher
Meister. Mit Kriegsbeginn wurde Fußball Nebensache. Hirsch,
der 1912/13 als Einjährig-Freiwilliger gedient hatte, wie
für Söhne wohlhabender Eltern üblich, wurde eingezogen
und tat Dienst in einem bayerischen Landwehrregiment, vorwiegend
in der »Etappe hinter den Linien«, als Schreiber,
wie der Autor mutmaßt. Vielleicht konnte er auch seine
Sprachkenntnisse in Französisch und Englisch verwerten.
Spektakulärer lesen sich die Passagen über den Kriegseinsatz
des Gottfried Fuchs, der sich 1914 freiwillig gemeldet hatte
und als Offizier an der Westfront unter anderem den Tank-Angriff
von Cambrai miterlebte.
1919 kehrte Julius Hirsch nach Karlsruhe zurück, trat in
die väterliche Textil-Firma ein und heiratete die Modistin
Ellen Hauser aus einer evangelischen nordbadischen Familie. Bis
1923 blieb er aktiver Spieler des KFC. Ein Foto zeigt ihn Mitte
der Zwanzigerjahre vor seinem Automobil, die Berufsbezeichnung
lautete Fabrikant, ein paar Seiten weiter: »beste Wohnadresse
in der Kaiserallee«. Die Firma geriet jedoch in die Krise
und endete 1933 im Konkurs. Von nun an drehte sich die Unglücksspirale.
Zur wirtschaftlichen Bedrängnis durch Arbeitslosigkeit kam
mit dem Dritten Reich die Benachteiligung und Verfolgung als
Jude. Um dem Ausschluss zuvorzukommen, trat er aus seinem Verein
aus. 1933/34 fand er eine Anstellung als Trainer im Eisass, danach
engagierte er sich im jüdischen Sportbund, eine unstete
Zeit als Handlungsreisender, Selbstmordversuch, Aufenthalte in
psychiatrischen Anstalten, Ehescheidung und schließlich
1943 Deportation mit Auschwitz als wahrscheinlichem Endpunkt
sind die Stichwörter seiner letzten Jahre.
Der Sportschriftsteller Skrentny, der Hirsch seinen Platz in
der Sportgeschichte zurückgeben wollte, wagte sich an eine
komplizierte Biographie mit tragischem Ausgang. Er lässt
den Leser Teil haben am langwierigen Entstehungsprozess des Buches,
berichtet von seinen Recherchen in Archiven oder privaten Beständen
und von der Befragung von Zeitzeugen. Intensiv war seine Zusammenarbeit
mit Andreas Hirsch, Enkel von Julius Hirsch, der Bilder und Dokumente
aus dem Familienbesitz bereitstellte und ein sehr persönliches
Vorwort verfasste. Dankbar hebt er darin hervor, dass Skrentny
den Kontakt zu den Nachfahren von Gottfried Fuchs in Kanada hergestellt
habe, woraus sich eine lebendige Freundschaft entwickelt habe.
Fuchs hatte Deutschland 1937 verlassen und war über die
Schweiz, Frankreich und England schließlich nach Kanada
gelangt. Er korrespondierte in der Nachkriegszeit mit Sepp Herberger.
Ausführlich ist dieser Briefwechsel dokumentiert, der mit
dem Schönheitsfehler endet, dass der DFB einer von Herberger
vorgeschlagenen Einladung für Fuchs zu einem Länderspiel
1972 nicht zustimmte.
Das Buch wirkt mit seinen 32 Kapiteln und neun Exkursen etwas
unübersichtlich. Nicht alles hat mit Julius Hirsch zu tun,
der auf dem Bucheinband als Fußballer in voller Aktion
zu sehen ist, auf einer Fotografie, die 1912 das Titelbild der
Zeitschrift »Fußball, olympischer Sport« schmückte.
Es ist aber gerade durch diesen Werkstatt-Charakter eine lebendige
Dokumentation, authentisch, weil der Autor den Leser mitnimmt
an die Orte des Geschehens und zu den Interviews, wo er nicht
nur die erhobenen Fakten, sondern auch die Reaktionen der Befragten
wiedergibt, zum Beispiel die vorsichtig-beklommene Reaktion der
Elsässer, die Hirsch 1933/34 erlebt hatten. In Karlsruhe
fand Skrentny von Anfang offene Ohren, im Stadtarchiv, bei der
Stadtverwaltung, in der Sportszene und darüber hinaus. Seit
2013 gibt es dort eine Julius-Hirsch-Straße und einen Gottfried-
Fuchs-Platz.
Renate Liessem-Breinlinger |