Friedrich Weinbrenner, 1766 in Karlsruhe geboren, war ein Architekt,
Städteplaner und Baumeister des Klassizismus, der das städtebauliche
Aussehen seiner Heimatstadt maßgeblich prägte. Als
Badischer Oberbaudirektor war er zuständig für das
gesamte Bauwesen innerhalb der Landesgrenzen, weshalb viele seiner
Bauten im ganzen Land zu finden sind und er auch Wirkung über
diese Grenzen hinaus hatte. Darüber hinaus war er ein begnadeter
Lehrer, aus dessen Bauschule viele bekannte Architekten hervorgingen.
Auch gehört er zu den geistigen Vätern der kurz vor
seinem Tod 1826 gegründeten Polytechnischen Schule, der
Vorgängereinrichtung der späteren Universität
und des heutigen Karlsruher Instituts für Technologie (KIT);
aber davon später mehr!
Viele seiner Bauten wurden allerdings im 2. Weltkrieg zerstört
und auch später noch abgerissen, um Platz zu schaffen für
den Wiederaufbau nach neuen architektonischen Gesichtspunkten,
so dass sein Lebenswerk heute stark dezimiert ist. Erst mit einer
Rückbesinnung auf das bauhistorische Erbe und stärkeren
Einfluss der Denkmalpflege rückte Weinbrenner wieder mehr
in das architektonische Gesichtsfeld, auch der Stadt Karlsruhe.
Oft sind es Geburts- oder Todes-Gedenkjahre, von denen neue
Impulse ausgehen. Eine solche Rückerinnerung erfolgte zum
100-jährigen
Todestag Weinbrenners 1926 mit der Veröffentlichung einer
zweiten Auflage von Arthur Valdenaire über Leben und Bauten
von Weinbrenner. Zu seinem 150. Todestag 1976 veranstaltete das
Institut für Baugeschichte der damaligen Universität
Karlsruhe mit seinem neu berufenen Leiter, Prof. Dr. Wulf Schirmer,
zusammen mit der Stadt Karlsruhe, die aus diesem Anlass erstmals
einen Wettbewerb um die »Weinbrenner-Plakette« ausgeschrieben
hatte, eine Vortragsreihe um Leben und Werk Weinbrenners, deren
Beiträge allerdings erst fünf Jahre später, 1981,
von der Stadt Karlsruhe veröffentlicht wurden. Die 80er
Jahre des vorigen Jahrhunderts waren dann die Jahre, in denen
wissenschaftliche Forschungsergebnisse zum Wirken von Weinbrenner
stärker zutage gefördert wurden. Dazu rief Prof. Schirmer
die Schriftenreihe: »Friedrich Weinbrenner und die Weinbrenner-Schule« [1] ins Leben, in der vorwiegend Dissertationen und Habilitationsschriften
veröffentlicht wurden, allerdings in wechselnden Verlagen.
Waren die meisten Schriften dieser Reihe vorwiegend seinen Bauten
und städtebaulichen Planungen gewidmet, so setzt sich der
jetzt vorgelegte Band 5 mit dem Werk Weinbrenners inhaltlich
und ästhetisch auseinander.
Der Verfasser ist studierter Kunstgeschichtler, der in seiner
umfangreichen Lehrtätigkeit im In- und Ausland sich auf
die Architekturgeschichte spezialisiert hat und dessen Buch über
Weinbrenner aus seiner Habilitationsschrift hervorgegangen ist.
Er versucht mit seiner Arbeit hinter die Fassaden Weinbrennerscher
Bauten zu schauen und den Inhalt seiner Werke und ihre ästhetische
Wirkung zu ergründen. Dazu untersucht er zunächst in
einer umfangreichen Literaturrecherche Lexika, Biographien, Zeitschriften
und Nachschlagewerke, was sich in ihnen über Weinbrenner
niedergeschlagen hat. Dabei geht es ihm vor allem im Rahmen dieses
Deutungsversuches darum, das bestehende Weinbrenner-Bild von
Vorurteilen und Missverständnissen zu befreien, das sich
in der Literatur festgesetzt hat und nach anfänglich noch
positiver Beurteilung schließlich durch den Kunsthistoriker
Alfred Wolt- mann, seit er 1868 als Professor nach Karlsruhe
berufen wurde, ins Negative umschlug. Dieser hatte in seinem
Eintrag bei den »Badischen Biographien« Weinbrenners
Bauten als »spröde, reizlos und plump und von beispielloser
Roheit« bezeichnet. Diese Meinung übertrug sich schließlich
sogar auf große Teile der Architektur des 19. Jahrhunderts.
Erst Anfang des 20. Jahrhunderts setzte allmählich eine
Gegenbewegung ein, als der Karlsruher Gymnasialprofessor Karl
Widmer das »Neuartige und Schöpferische« der
Architektur Weinbrenners herausstellte. Hinzu kam, dass Karlsruhe
zu seinem
200-jährigem Stadtjubiläum 1915 in einer Festschrift
Weinbrenners Bauten »den Adel der Einfachheit und reinsten
Ausdruck klassischen Formengeistes« bescheinigte und auch
zum 100. Todestag 1926, wie oben erwähnt, die erste Biographie
Weinbrenners (nach seinen eigenen »Denkwürdigkeiten«)
von Valdenaire in 2. Auflage erschien. Langsam trat zwischen
den beiden Weltkriegen eine gewisse Weinbrenner-Renaissance ein,
wie sie sich in den Fachzeitschriften dokumentieren lässt.
So stellte der Karlsruher Architekt und Chefredakteur der Deutschen
Bauzeitung Albert Hofmann in eben dieser Zeitschrift erstmals
Weinbrenner gleichbedeutend neben Schinkel und Klenze, und Valdenaire
prägte den Begriff von Karlsruhe als der Weinbrenner-Stadt.
Für die Stadt jedoch erfolgte allmählich und plötzlich
die Zerstörung, nicht erst mit dem 2. Weltkrieg, sondern
bereits in der Gründerzeit, als nach Meinung nicht weniger
Fachleute Josef Durm mit seinem »renaissancistischen Prachtbauten
brachiale Eingriffe in das überlieferte Ambiente« vornahm.
Von den Idealbauten des Dritten Reiches blieb die Weinbrenner-Stadt
verschont, obwohl dem Reich willkommen war, dass der Klassizismus
den Staat repräsentierte, allerdings war es in der Hauptstadt
Berlin der Preußische und nicht der Badische Klassizismus!
Der 2. Weltkrieg aber führte dann zu den großen Zerstörungen
der Stadt und damit auch vieler Bauten Weinbrenners. Auch vollkommen
erhaltene Bauten fielen noch später dem Wiederaufbau zum
Opfer, bei anderen wurden nur Teile der Fassaden bewahrt, so
dass heute außer der Münze kein Gebäude mehr
existiert, das noch einen Eindruck vom Inneren vermitteln kann.
Nach dieser akribischen Recherche des Autors kann man nun wohl
sagen, dass es keine wesentliche überregionale Forschung über
Weinbrenner gibt, die Deutungen über sein wahres Bild zulassen.
Der Autor hat alles zusammengetragen und ausgewertet, was es
zu dieser Person und ihrem Wirken gibt, angefangen von Weinbrenners
eigenen biographischen Skizzen, den »Denkwürdigkeiten«, über
die erste umfassende Biografie von Valdenaire bis hin zu den
Zeitschriftenartikeln, Lexikoneinträgen und vor allem den
irgendwo versteckten kleineren Beiträgen. Man kann sagen,
dass mit dem Weinbrenner-Jahr 1976 zu seinem 150. Todestag dann
intensivere Forschungen in Angriff genommen wurden. Es ist daher
Prof. Wulf Schirmer zu danken, dass er gleich zu Beginn seiner
Tätigkeit in Karlsruhe sich diesem Thema verschrieben hat.
Zunächst die erwähnte öffentliche Vortragsfolge,
dann im Jahr darauf die große Weinbrenner-Ausstellung in
der Staatlichen Kunsthalle zu Karlsruhe und danach die Schriftenreihe »Friedrich
Weinbrenner und die Weinbrenner-Schule«, in der nun wissenschaftliche
Forschungsergebnisse über einzelne Gebäudetypen oder
den Städtebau als Monographien in wechselnden Verlagen publiziert
werden. Damit hat sich Karlsruhe als Schwerpunkt der Weinbrenner-Forschung
etabliert. Wo sonst auch sollte dies geschehen, wo Weinbrenner
geboren wurde und vornehmlich gewirkt hat, wo trotz aller Zerstörungen
noch genug Bauten trotz Veränderungen bereit stehen und
sich unzählige Dokumente in verschiedenen Institutionen
befinden.
So ist nach diesem ersten Teil des Buches der Boden bereitet
für weitergehende Forschungen zur Deutung der Architektur
Weinbrenners und ihrer Ästhetik sowie sein Wirken über
seine Stadt und Land hinaus, um seine Stellung im und Bedeutung
für den deutschen Klassizismus neben den weithin bekannten
Vertretern dieser Epoche zu belegen. Diesen ersten Versuch hat
mit dieser Monographie der Autor unternommen.
Eine besondere Stellung nimmt die Lehrtätigkeit Weinbrenners
ein, in seinem Leben wie in diesem Buch. Er galt als begnadeter
Lehrer, der für seinen Unterricht ein eigenes Lehrbuch verfasste,
mit dem sich der Autor ausführlich über 70 Seiten auseinandersetzt.
Auch bezeugt das Ansehen Weinbrenners als Lehrer die große
Zahl seiner namhaften Schüler, die aus der von ihm gegründeten
Bauschule hervorgingen. Diese Bauschule wird immer wieder, wie
bereits eingangs erwähnt, auch zusammen mit der Ingenieur-Schule
von Tulla ,als Keimzelle der Polytechnischen Schule in Karlsruhe« genannt,
aus der dann die Technische Hochschule, später Universität
und letztlich das Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
hervorging. Anders jedoch sieht es die Hochschule selbst, da
der Autor Joachim Hotz bereits 1975 aufzeigte, dass ein »Einbringen
der Weinbrennerschen Schule 1825 noch nicht stattfand« [2] und
ebenso zeigt in seiner »Geschichte der Fridericiana« der
leider viel zu früh verstorbene Universitätsarchivar
Klaus-Peter Hoepke [3] auf, dass Tulla und Weinbrenner zwar zu
den Gründungsvätern
der Polytechnischen Schule zu rechnen seien, weil nur aufgrund
ihrer Reputation diese Schule überhaupt nach Karlsruhe und
nicht nach Freiburg kam, aber deren Schulen erst bei der Reorganisation
des Polytechnikums 1832 und damit nach dem Tod der beiden diesem
angeschlossen wurden. Aber dieser Dissens sollte geklärt
werden, zumal er an der eigenen Institution auftritt und auch
an vorderster Stelle in der »Einführung« dieses
Buches zu lesen ist und sich von dort weiter ausbreitet in der Öffentlichkeit
[4].
Genauso akribisch wie den ersten Teil bearbeitet der Autor
den zweiten, mit ebenfalls 70 Seiten Umfang. Hier werden Entstehung
und Entwicklungsgeschichte des Lehrbuchs behandelt, sein Inhalt
und seine Zielsetzung, die Herstellung der Abbildungen auf Stein
oder Holz, das Papier und auch die Marktchancen. Allein über
fünf Seiten wird der Leser unterrichtet, ob Weinbrenner
und sein Verleger Cotta Zusammenkommen, um eine der ersten Architek-
tur-Zeitschriften in Deutschland, das »Journal für
die Baukunst« herauszugeben, was dann doch nicht gelang
und das Journal erst nach Weinbrenners Tod 1829 erstmalig erschien.
Man kann vielleicht fragen, ob diese und andere Episoden in solch
breiter Ausführlichkeit dargestellt werden müssen,
da sich das Buch ja nicht nur an den Wissenschaftler wenden will?
Aber natürlich trägt alles dazu bei, das Bild Weinbrenners
zu vervollkommnen, so auch dieses erste deutsche Architektonische
Lehrbuch, seine Entstehung, Bedeutung, Wirkung wie auch Verbreitung.
Aber vielleicht lässt sich aus dieser Fülle der neuen
Erkenntnisse und dem neuen Bild Weinbrenners einmal auch eine
neue und populäre Biographie Weinbrenners erstellen, sicher
nach 100 Jahren Valdenaire ein Desiderat!
Der dritte Teil ist dann der schwierigste, soll er doch das
Ergebnis aller Erkenntnisse des Autors explizieren. Es hat sich
also gezeigt,
dass im gesamten Werk Weinbrenners die Antike für ihn zwar
Vorbild war, aber an keiner Stelle zur »klassischen Nachahmung« führte
wie sie nachfolgende Generationen in Katalogen
mit auszuwählenden Formen benutzten, sondern selbstständiges
Denken führt nach Weinbrenner zur Freiheit im Entwerfen
und nach Schumanns Analyse zur Ästhetik Weinbrenners, was
der Autor explizit in den anschließenden Beiträgen
aufzeigt. Es ist zu hoffen, dass mit diesem Deutungsversuch ein
anderes Weinbrennerbild entsteht, das ihn, wie schon Albert Hofmann
aufgezeigte, eigenständig neben Schinkel und Klenze stellt.
Es ist zu erwarten, dass in diese Richtung weitere Forschungsarbeiten
von Karlsruhe ausgehen werden und dass Karlsruhe, nicht zuletzt
dank Gründung der Weinbrenner-Gesellschaft durch den Autor,
das wirkliche Weinbrenner-Forschungszentrum wird.
Ergänzend und abschließend ist zu bemerken, dass der
geschriebene Text wissenschaftlich begleitet wird von fast 1700
Fußnoten und einem 22-seitigen Literaturverzeichnis mit über
600 Literaturstellen. Erschlossen wird die Arbeit durch ein 4-seitiges
Personenregister mit ca. 600 Eintragungen sowie ein Orts- und
Objektregister mit 250 Eintragungen. Des weiteren sind dem Text
168 Schwarz-Weiß-Ab- bildungen beigefügt sowie 79
Farbtafeln. Das Verlagsprodukt ist von hoher Qualität bei
einem günstigen Preis, so dass zu hoffen ist, dass es kommerziell
erfolgreicher sein wird als Weinbrenners Lehrbuch bei Cotta.
Es sollte in allen wissenschaftlichen Bibliotheken zu finden
sein, aber auch in größeren Öffentlichen Bibliotheken,
da es nicht nur, wenn auch vorwiegend den Wissenschaftler interessieren
wird, aber auch andere, an Weinbrenner interessierte Bevölkerungskreise.
Rolf
Fuhlrott Anmerkungen
1 Friedrich Weinbrenner und die Weinbrenner- Schule
Bd. 1: Elbert, Claudia: Die Theater Friedrich Weinbrenners. -
Karlsruhe: C. F. Müller, 1988, 202 S. Bd. 2: Teil 1: Leiber,
Gottfried: Friedrich Weinbrenners städtebauliches Schaffen
für Karlsruhe. Die barocke Stadtplanung und die ersten klassizistischen
Entwürfe - Karlsruhe: Braun 1996, 350 S. Bd. 2: Teil 2: Leiber, Gottfried: Friedrich Weinbrenners städtebauliches
Schaffen für Karlsruhe. Der Stadtausbau und die Stadterweiterungsplanungen
1801-1821 - Mainz: v. Zabern 2002, 454 S.
Bd. 3: Spitzbart, Elisabeth: Karl-Joseph Berck- müller 1800-1879,
Architekt und Zeichner, - Karlsruhe: Braun 1999, 308 S.
Bd. 4: Im, Hea Je: Karlsruher Bürgerhäuser zur Zeit
Friedrich Weinbrenners. - Mainz: v. Zabern 2004,322 S.
Bd. 5: Schumann, Ulrich Maximilian: Friedrich Weinbrenner. Klassizismus
und praktische Ästhetik. - Berlin / München: Deutscher
Kunstverlag 2010, 356 S.
2 Hotz, Joachim: Kleine Geschichte der Universität Fridericiana
Karlsruhe. - Karlsruhe: C. F. Müller 1975, 64 S. - hier
S.16 oben
3 Hoepke, Klaus-Peter: Geschichte der Fridericiana. - Karlsruhe:
Universitätsverlag 2007, 210 S. - hier S. 32
4 Coenen, Ulrich: Freiheit im Entwerfen statt sklavische Nachahmung
.- In: Badische Neueste Nachrichten vom 9.2.2011
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