Rezensionen


Schumann, Ulrich Maximilian: Friedrich Weinbrenner. Klassizismus und praktische Ästhetik.
- Berlin / München: Deutscher Kunstverlag 2010, 355 S., 56.- €, ISBN 978-3- 422-06969-5
(Friedrich Weinbrenner und die Weinbrenner-Schule, Bd. 5) Institut für Baugeschichte, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Hrsg. von Johann Josef Böker

 

Friedrich Weinbrenner, 1766 in Karlsruhe geboren, war ein Architekt, Städteplaner und Baumeister des Klassizismus, der das städtebauliche Aussehen seiner Heimatstadt maßgeblich prägte. Als Badischer Oberbaudirektor war er zuständig für das gesamte Bauwesen innerhalb der Landesgrenzen, weshalb viele seiner Bauten im ganzen Land zu finden sind und er auch Wirkung über diese Grenzen hinaus hatte. Darüber hinaus war er ein begnadeter Lehrer, aus dessen Bauschule viele bekannte Architekten hervorgingen. Auch gehört er zu den geistigen Vätern der kurz vor seinem Tod 1826 gegründeten Polytechnischen Schule, der Vorgängereinrichtung der späteren Universität und des heutigen Karlsruher Instituts für Technologie (KIT); aber davon später mehr!

Viele seiner Bauten wurden allerdings im 2. Weltkrieg zerstört und auch später noch abgerissen, um Platz zu schaffen für den Wiederaufbau nach neuen architektonischen Gesichtspunkten, so dass sein Lebenswerk heute stark dezimiert ist. Erst mit einer Rückbesinnung auf das bauhistorische Erbe und stärkeren Einfluss der Denkmalpflege rückte Weinbrenner wieder mehr in das architektonische Gesichtsfeld, auch der Stadt Karlsruhe.

Oft sind es Geburts- oder Todes-Gedenkjahre, von denen neue Impulse ausgehen. Eine solche Rückerinnerung erfolgte zum 100-jährigen Todestag Weinbrenners 1926 mit der Veröffentlichung einer zweiten Auflage von Arthur Valdenaire über Leben und Bauten von Weinbrenner. Zu seinem 150. Todestag 1976 veranstaltete das Institut für Baugeschichte der damaligen Universität Karlsruhe mit seinem neu berufenen Leiter, Prof. Dr. Wulf Schirmer, zusammen mit der Stadt Karlsruhe, die aus diesem Anlass erstmals einen Wettbewerb um die »Weinbrenner-Plakette« ausgeschrieben hatte, eine Vortragsreihe um Leben und Werk Weinbrenners, deren Beiträge allerdings erst fünf Jahre später, 1981, von der Stadt Karlsruhe veröffentlicht wurden. Die 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts waren dann die Jahre, in denen wissenschaftliche Forschungsergebnisse zum Wirken von Weinbrenner stärker zutage gefördert wurden. Dazu rief Prof. Schirmer die Schriftenreihe: »Friedrich Weinbrenner und die Weinbrenner-Schule« [1] ins Leben, in der vorwiegend Dissertationen und Habilitationsschriften veröffentlicht wurden, allerdings in wechselnden Verlagen. Waren die meisten Schriften dieser Reihe vorwiegend seinen Bauten und städtebaulichen Planungen gewidmet, so setzt sich der jetzt vorgelegte Band 5 mit dem Werk Weinbrenners inhaltlich und ästhetisch auseinander.

Der Verfasser ist studierter Kunstgeschichtler, der in seiner umfangreichen Lehrtätigkeit im In- und Ausland sich auf die Architekturgeschichte spezialisiert hat und dessen Buch über Weinbrenner aus seiner Habilitationsschrift hervorgegangen ist.

Er versucht mit seiner Arbeit hinter die Fassaden Weinbrennerscher Bauten zu schauen und den Inhalt seiner Werke und ihre ästhetische Wirkung zu ergründen. Dazu untersucht er zunächst in einer umfangreichen Literaturrecherche Lexika, Biographien, Zeitschriften und Nachschlagewerke, was sich in ihnen über Weinbrenner niedergeschlagen hat. Dabei geht es ihm vor allem im Rahmen dieses Deutungsversuches darum, das bestehende Weinbrenner-Bild von Vorurteilen und Missverständnissen zu befreien, das sich in der Literatur festgesetzt hat und nach anfänglich noch positiver Beurteilung schließlich durch den Kunsthistoriker Alfred Wolt- mann, seit er 1868 als Professor nach Karlsruhe berufen wurde, ins Negative umschlug. Dieser hatte in seinem Eintrag bei den »Badischen Biographien« Weinbrenners Bauten als »spröde, reizlos und plump und von beispielloser Roheit« bezeichnet. Diese Meinung übertrug sich schließlich sogar auf große Teile der Architektur des 19. Jahrhunderts. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts setzte allmählich eine Gegenbewegung ein, als der Karlsruher Gymnasialprofessor Karl Widmer das »Neuartige und Schöpferische« der Architektur Weinbrenners herausstellte. Hinzu kam, dass Karlsruhe zu seinem 200-jährigem Stadtjubiläum 1915 in einer Festschrift Weinbrenners Bauten »den Adel der Einfachheit und reinsten Ausdruck klassischen Formengeistes« bescheinigte und auch zum 100. Todestag 1926, wie oben erwähnt, die erste Biographie Weinbrenners (nach seinen eigenen »Denkwürdigkeiten«) von Valdenaire in 2. Auflage erschien. Langsam trat zwischen den beiden Weltkriegen eine gewisse Weinbrenner-Renaissance ein, wie sie sich in den Fachzeitschriften dokumentieren lässt. So stellte der Karlsruher Architekt und Chefredakteur der Deutschen Bauzeitung Albert Hofmann in eben dieser Zeitschrift erstmals Weinbrenner gleichbedeutend neben Schinkel und Klenze, und Valdenaire prägte den Begriff von Karlsruhe als der Weinbrenner-Stadt.

Für die Stadt jedoch erfolgte allmählich und plötzlich die Zerstörung, nicht erst mit dem 2. Weltkrieg, sondern bereits in der Gründerzeit, als nach Meinung nicht weniger Fachleute Josef Durm mit seinem »renaissancistischen Prachtbauten brachiale Eingriffe in das überlieferte Ambiente« vornahm. Von den Idealbauten des Dritten Reiches blieb die Weinbrenner-Stadt verschont, obwohl dem Reich willkommen war, dass der Klassizismus den Staat repräsentierte, allerdings war es in der Hauptstadt Berlin der Preußische und nicht der Badische Klassizismus! Der 2. Weltkrieg aber führte dann zu den großen Zerstörungen der Stadt und damit auch vieler Bauten Weinbrenners. Auch vollkommen erhaltene Bauten fielen noch später dem Wiederaufbau zum Opfer, bei anderen wurden nur Teile der Fassaden bewahrt, so dass heute außer der Münze kein Gebäude mehr existiert, das noch einen Eindruck vom Inneren vermitteln kann.

Nach dieser akribischen Recherche des Autors kann man nun wohl sagen, dass es keine wesentliche überregionale Forschung über Weinbrenner gibt, die Deutungen über sein wahres Bild zulassen. Der Autor hat alles zusammengetragen und ausgewertet, was es zu dieser Person und ihrem Wirken gibt, angefangen von Weinbrenners eigenen biographischen Skizzen, den »Denkwürdigkeiten«, über die erste umfassende Biografie von Valdenaire bis hin zu den Zeitschriftenartikeln, Lexikoneinträgen und vor allem den irgendwo versteckten kleineren Beiträgen. Man kann sagen, dass mit dem Weinbrenner-Jahr 1976 zu seinem 150. Todestag dann intensivere Forschungen in Angriff genommen wurden. Es ist daher Prof. Wulf Schirmer zu danken, dass er gleich zu Beginn seiner Tätigkeit in Karlsruhe sich diesem Thema verschrieben hat. Zunächst die erwähnte öffentliche Vortragsfolge, dann im Jahr darauf die große Weinbrenner-Ausstellung in der Staatlichen Kunsthalle zu Karlsruhe und danach die Schriftenreihe »Friedrich Weinbrenner und die Weinbrenner-Schule«, in der nun wissenschaftliche Forschungsergebnisse über einzelne Gebäudetypen oder den Städtebau als Monographien in wechselnden Verlagen publiziert werden. Damit hat sich Karlsruhe als Schwerpunkt der Weinbrenner-Forschung etabliert. Wo sonst auch sollte dies geschehen, wo Weinbrenner geboren wurde und vornehmlich gewirkt hat, wo trotz aller Zerstörungen noch genug Bauten trotz Veränderungen bereit stehen und sich unzählige Dokumente in verschiedenen Institutionen befinden.

So ist nach diesem ersten Teil des Buches der Boden bereitet für weitergehende Forschungen zur Deutung der Architektur Weinbrenners und ihrer Ästhetik sowie sein Wirken über seine Stadt und Land hinaus, um seine Stellung im und Bedeutung für den deutschen Klassizismus neben den weithin bekannten Vertretern dieser Epoche zu belegen. Diesen ersten Versuch hat mit dieser Monographie der Autor unternommen.

Eine besondere Stellung nimmt die Lehrtätigkeit Weinbrenners ein, in seinem Leben wie in diesem Buch. Er galt als begnadeter Lehrer, der für seinen Unterricht ein eigenes Lehrbuch verfasste, mit dem sich der Autor ausführlich über 70 Seiten auseinandersetzt. Auch bezeugt das Ansehen Weinbrenners als Lehrer die große Zahl seiner namhaften Schüler, die aus der von ihm gegründeten Bauschule hervorgingen. Diese Bauschule wird immer wieder, wie bereits eingangs erwähnt, auch zusammen mit der Ingenieur-Schule von Tulla ,als Keimzelle der Polytechnischen Schule in Karlsruhe« genannt, aus der dann die Technische Hochschule, später Universität und letztlich das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hervorging. Anders jedoch sieht es die Hochschule selbst, da der Autor Joachim Hotz bereits 1975 aufzeigte, dass ein »Einbringen der Weinbrennerschen Schule 1825 noch nicht stattfand« [2] und ebenso zeigt in seiner »Geschichte der Fridericiana« der leider viel zu früh verstorbene Universitätsarchivar Klaus-Peter Hoepke [3] auf, dass Tulla und Weinbrenner zwar zu den Gründungsvätern der Polytechnischen Schule zu rechnen seien, weil nur aufgrund ihrer Reputation diese Schule überhaupt nach Karlsruhe und nicht nach Freiburg kam, aber deren Schulen erst bei der Reorganisation des Polytechnikums 1832 und damit nach dem Tod der beiden diesem angeschlossen wurden. Aber dieser Dissens sollte geklärt werden, zumal er an der eigenen Institution auftritt und auch an vorderster Stelle in der »Einführung« dieses Buches zu lesen ist und sich von dort weiter ausbreitet in der Öffentlichkeit [4].

Genauso akribisch wie den ersten Teil bearbeitet der Autor den zweiten, mit ebenfalls 70 Seiten Umfang. Hier werden Entstehung und Entwicklungsgeschichte des Lehrbuchs behandelt, sein Inhalt und seine Zielsetzung, die Herstellung der Abbildungen auf Stein oder Holz, das Papier und auch die Marktchancen. Allein über fünf Seiten wird der Leser unterrichtet, ob Weinbrenner und sein Verleger Cotta Zusammenkommen, um eine der ersten Architek- tur-Zeitschriften in Deutschland, das »Journal für die Baukunst« herauszugeben, was dann doch nicht gelang und das Journal erst nach Weinbrenners Tod 1829 erstmalig erschien. Man kann vielleicht fragen, ob diese und andere Episoden in solch breiter Ausführlichkeit dargestellt werden müssen, da sich das Buch ja nicht nur an den Wissenschaftler wenden will? Aber natürlich trägt alles dazu bei, das Bild Weinbrenners zu vervollkommnen, so auch dieses erste deutsche Architektonische Lehrbuch, seine Entstehung, Bedeutung, Wirkung wie auch Verbreitung. Aber vielleicht lässt sich aus dieser Fülle der neuen Erkenntnisse und dem neuen Bild Weinbrenners einmal auch eine neue und populäre Biographie Weinbrenners erstellen, sicher nach 100 Jahren Valdenaire ein Desiderat!

Der dritte Teil ist dann der schwierigste, soll er doch das Ergebnis aller Erkenntnisse des Autors explizieren. Es hat sich also gezeigt, dass im gesamten Werk Weinbrenners die Antike für ihn zwar Vorbild war, aber an keiner Stelle zur »klassischen Nachahmung« führte wie sie nachfolgende Generationen in Katalogen mit auszuwählenden Formen benutzten, sondern selbstständiges Denken führt nach Weinbrenner zur Freiheit im Entwerfen und nach Schumanns Analyse zur Ästhetik Weinbrenners, was der Autor explizit in den anschließenden Beiträgen aufzeigt. Es ist zu hoffen, dass mit diesem Deutungsversuch ein anderes Weinbrennerbild entsteht, das ihn, wie schon Albert Hofmann aufgezeigte, eigenständig neben Schinkel und Klenze stellt. Es ist zu erwarten, dass in diese Richtung weitere Forschungsarbeiten von Karlsruhe ausgehen werden und dass Karlsruhe, nicht zuletzt dank Gründung der Weinbrenner-Gesellschaft durch den Autor, das wirkliche Weinbrenner-Forschungszentrum wird.

Ergänzend und abschließend ist zu bemerken, dass der geschriebene Text wissenschaftlich begleitet wird von fast 1700 Fußnoten und einem 22-seitigen Literaturverzeichnis mit über 600 Literaturstellen. Erschlossen wird die Arbeit durch ein 4-seitiges Personenregister mit ca. 600 Eintragungen sowie ein Orts- und Objektregister mit 250 Eintragungen. Des weiteren sind dem Text 168 Schwarz-Weiß-Ab- bildungen beigefügt sowie 79 Farbtafeln. Das Verlagsprodukt ist von hoher Qualität bei einem günstigen Preis, so dass zu hoffen ist, dass es kommerziell erfolgreicher sein wird als Weinbrenners Lehrbuch bei Cotta. Es sollte in allen wissenschaftlichen Bibliotheken zu finden sein, aber auch in größeren Öffentlichen Bibliotheken, da es nicht nur, wenn auch vorwiegend den Wissenschaftler interessieren wird, aber auch andere, an Weinbrenner interessierte Bevölkerungskreise.

Rolf Fuhlrott

Anmerkungen
1 Friedrich Weinbrenner und die Weinbrenner- Schule
Bd. 1: Elbert, Claudia: Die Theater Friedrich Weinbrenners. - Karlsruhe: C. F. Müller, 1988, 202 S. Bd. 2: Teil 1: Leiber, Gottfried: Friedrich Weinbrenners städtebauliches Schaffen für Karlsruhe. Die barocke Stadtplanung und die ersten klassizistischen Entwürfe - Karlsruhe: Braun 1996, 350 S.

Bd. 2: Teil 2: Leiber, Gottfried: Friedrich Weinbrenners städtebauliches Schaffen für Karlsruhe. Der Stadtausbau und die Stadterweiterungsplanungen 1801-1821 - Mainz: v. Zabern 2002, 454 S.
Bd. 3: Spitzbart, Elisabeth: Karl-Joseph Berck- müller 1800-1879, Architekt und Zeichner, - Karlsruhe: Braun 1999, 308 S.
Bd. 4: Im, Hea Je: Karlsruher Bürgerhäuser zur Zeit Friedrich Weinbrenners. - Mainz: v. Zabern 2004,322 S.
Bd. 5: Schumann, Ulrich Maximilian: Friedrich Weinbrenner. Klassizismus und praktische Ästhetik. - Berlin / München: Deutscher Kunstverlag 2010, 356 S.
2 Hotz, Joachim: Kleine Geschichte der Universität Fridericiana Karlsruhe. - Karlsruhe: C. F. Müller 1975, 64 S. - hier S.16 oben
3 Hoepke, Klaus-Peter: Geschichte der Fridericiana. - Karlsruhe: Universitätsverlag 2007, 210 S. - hier S. 32
4 Coenen, Ulrich: Freiheit im Entwerfen statt sklavische Nachahmung .- In: Badische Neueste Nachrichten vom 9.2.2011

2/2011
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