Ein Buch zu besprechen, das eigentlich gar keines
ist, ist schon schwierig; noch schwieriger ist es, das eines
Architekten zu besprechen. Denn Architekten sind in der Regel
keine Buchmacher, sondern eher Künstler, benutzen ungewöhnliche
Formate und bedrucken diese auch nicht seitenfüllend. Stellt
man dieses nun in ein Regal, schaut man nicht auf den üblichen
Buchrücken, sondern auf eine Spiralheftung, die 123 Seiten
zusammenhält. In quadratischem Format, bedruckt mit einem
Text, der ebenso viel Platz einnimmt wie er drumherum Freiraum
lässt. Ein bisschen weniger Freiraum, dafür aber etwas
größere Druckschrift, hätte die Publikation lesbarer
gemacht, zumal auch die Überschriften nicht durch größere
Druckschrift ins Auge springen. Da kommt der handgeschriebenen
Untertitel, oder um 90° gedrehte Nebentitel »aus meinem
Sudelbuch« dem Ganzen schon näher, das sind Aufzeichnungen,
Aphorismen und witzige Erklärungen, wie sie im 18. Jahrhundert
schon Lichtenberg oder später auch Tucholsky verfasst hat,
so auch jetzt Klaus Richrath, der angesehene, inzwischen emeritierte
Professor für Städtebau an der Universität Karlsruhe,
dem jetzigen KIT. Er überträgt aus seinem Sudelheft
in diese neue Publikationsform »Glossen und andere aufrichtige
Nacherzählungen über Architektur und Städtebau
in einer Stadt am Oberrhein«, nämlich der eigenen,
aus deren örtlicher Presse er die Beiträge über
Bauplanungen der Stadt im letzten Jahrzehnt gesammelt hat und
nun mit ironischen Bemerkungen und witzigen Einfällen zu
utopischen Ideen und dem täglichen Schwarzbrot-Geschäft
des Stadtplaners kommentiert; was natürlich umso leichter
ist, wenn es unter den Fachleuten selbst keinen Konsens gibt,
was unter Stadtplanung, Städtebau oder einer Stadt zu verstehen
ist!
Nach einer abgedruckten Faschingsvorlesung von 1992 über
die Gründung einer Welthauptstadt zur Einstimmung in den
Tonfall beginnen die Geschichten nicht wie in der örtlichen
Presse über die Buchvorstellung zu lesen war, mit Sottisen,
sondern wie der Autor es abgemildert nennt, mit Glossen. Natürlich
beginnt er, und muss es, mit dem Karlsruher Großprojekt,
das in den letzten Jahren alle Gemüter kontrovers erregte,
der U-Strab und der Ablehnung durch einen Bürgerentscheid.,
dem neuen Lösungsvorschlag durch den Oberbürgermeister
als Gesamtpaket einer »Kombi-Lösung«! Drei Professoren
versuchen zu vermitteln, mussten sich aber als »ausgewiesene
Planungslaien« Inkompetenz vorwerfen lassen, und die Bevölkerung
stimmte in einem zweiten Bürgerentscheid mit Mehrheit für
die neue Lösung, ohne zu ahnen, was auf sie zukommt. Schnell
waren daher die Zeitungen gefüllt mit Beschwerden! So beschäftigen
sich die ersten 20 Seiten mit diesem Großprojekt, wobei
nicht immer ersichtlich ist, was Presse- und Leser-Meinung ist
und was die des Autors, wenn auch einige Zeitungsschlagzeilen
in Anführungszeichen gesetzt werden.
Als nächster Knackpunkt steht auf dem Plan, ob Karlsruhe
als Residenz des Rechts zu halten ist, wenn nicht das Bundesverfassungsgericht
eine dringend notwendige Erweiterung an seinem angestammten Platz
neben dem Schloss erhält - ohne den denkmalgeschützten
Nachkriegsbau von Paul Baumgarten und den ebenfalls geschützten
historischen Botanischen Garten zu beschädigen. Bei einem
weiteren Großprojekt, der
Nordtangente mit neuer Rheinbrücke, können Presseberichte
und Autor nur resignierend feststellen, dass »nach einem
halben Jahrhundert der unbefriedigende Status-quo wohl noch lange
Zeit erhalten bleibt«.
Das nächste Großprojekt wird mit Hilfe der Fi- garo-Arie
unter die Lupe genommen »Stadion neu, Stadion alt, Stadion
hier, Stadion da«! Aber auch die kleineren Planungen nimmt
der Autor augenzwinkernd unter die besagte Lupe, wie die unselige
Straßenmöblierung durch Cafes, Restaurants oder Läden,
weiter durch Werberollbilder, Automaten, Hinweisschilder jeglicher
Art - bis hin zum Fahnenstangenwald der Grundrechte auf der Via
triumphalis vor dem Schlossplatz! Vielleicht liegt vieles im
Argen, meint der Autor, weil die Stadt sich über die letzten
Dekaden berufsfremde Baubürgermeister leistet? Da ist es
besonders fatal und wird von Fachleuten kritisch gesehen, wenn
es ans Herz der Stadt, der Weinbrenner-Konzeption geht. Wurde
schon die Anmeldung des Stadtgrundrisses als Weltkulturerbe bei
der Unesco verspielt, so geht es dem Autor, jetzt nicht mehr
augenzwinkernd, um die Veränderung von Weinbrenners Marktplatz.
Dort wurden kürzlich die zur Kaiser- (früher Lange-)
Straße gehörenden Nachkriegsbauten (zunächst
eines, später das andere) abgerissen und durch eine sich
klassizistisch gebärdende Platzwand mit hohen Betonbogen
ersetzt - ganz entgegen der Intension von Weinbrenners Platz
mit Straße, wobei immer zu prüfen ist, ob die gebaute
Wirklichkeit die Intension des Architekten ist oder Änderungswunsch
des Fürsten!
Auch beim Bahnhofsvorplatz ist es nicht gelungen, beide Betreiber,
die Bahn AG und die Städtischen Verkehrsbetriebe, die auf
den Strecken eine weltweit bewunderte Kooperation zustande brachten,
dies auch an diesem Platz zu schaffen. So bleibt das »trostlose
Bild« eines markanten Platzes wohl noch lange Zeit erhalten.
Was hat nun das Sammeln von Pressenotizen und Lesermeinungen
sowie der eigenen gebracht? In einer Nachrede zieht er das Fazit
auf einem Spaziergang durch 50 Jahre Architekturgeschichte und
stellt fest: So widersprüchlich wie sich in den Presseausschnitten
und Leserzuschriften die Ansichten über Architektur und
Stadtplanung gezeigt haben, so ändern auch die Architekten
ihre Meinung über diese »Rein in die Kartoffeln, raus
aus die Kartoffeln« nennt es der Autor. Der Rezensent hat ähnliche
Erfahrungen gemacht: den Ausspruch Sullivans ,Form follows function
hat man besonders in der Nachkriegszeit gehört, und der
Autor ergänzt ihn noch durch den viel älteren von Francis
Bacon »Houses are to live in, not to look at«, Grundsätze,
mit denen vor allem die Nutzer der Gebäude gut leben können,
für die ja schließlich gebaut wird. Beim Bau der Badischen
Landesbibliothek z. B. drehte dann Oswald Matthias Ungers den
Spieß um und vertrat die Meinung »In jede gute Architektur
lässt sich jede Funktion auch gut integrieren«, mit
der Folge, dass man dort das funktionale Element des Haupteingangs
gegenüber dem Portal zu Weinbrenners Stephanskirche suchen
muss und erst nach Durchschreiten eines langen, niedrigen Ganges
versteckt an der Seite findet, so wie es Richrath kritisch beschreibt
in seiner letzten Glosse als »Lieferanten-Eingang« zum
repräsentativen Gebäude des Vierordtbades.
So gibt es viel zu kritisieren, und der Laie wird durch diese
Geschichten vielleicht ein wenig das Gefühl bekommen, was
Architektur will, wenn Städtebau und Stadtplanung dazu den
Rahmen setzen. Mancher Architekt wird schmunzelnd diesen Weg
durch die letzten zehn Jahre städtebaulichen Gestal- tens
in dieser Stadt mitgehen. Die Verantwortlichen werden sich fragen,
musste alles so geplant und gebaut und dabei auch zerstört
werden in dieser Stadt des großen Baumeisters Weinbrenner?
Eine neue Generation versucht das überkommene Erbe neu zu
deuten, neu zu formulieren, es verändernd zu erhalten schrieb
Prof. Schirmer 1977 im Katalog der Weinbrenner-Ausstellung. Es
ist zu hoffen, dass die 2010 neugegründete Weinbrenner-Gesellschaft
nicht nur ein waches Auge auf diese Erbschaft hat, sondern laut
aufmerkt, wenn die Reste seiner Hinterlassenschaft misshandelt
oder gar zerstört werden.
Eine lesenswerte Publikation mit mahnendem Hintergrund, die
infolge ihrer privaten Herstellung vielleicht nicht in allzu
vielen Bibliotheken zu finden sein wird!
Dr.-Ing. Rolf Fuhlrott |