Rezensionen


Klaus Richrath: Zwischen Utopie und Schwarzbrot. Glossen und andere aufrichtige Nacherzählungen über Architektur und Städtebau in einer Stadt am Oberrhein 2000- 2010
Karlsruhe 2011, 123 S. € 11,99 Euro (Vertrieb durch die Architektenkammer Baden-Württemberg, Kammerbezirk Karlsruhe, Waldstraße 8, 76133 Karlsruhe)

 

 

Ein Buch zu besprechen, das eigentlich gar keines ist, ist schon schwierig; noch schwieriger ist es, das eines Architekten zu besprechen. Denn Architekten sind in der Regel keine Buchmacher, sondern eher Künstler, benutzen ungewöhnliche Formate und bedrucken diese auch nicht seitenfüllend. Stellt man dieses nun in ein Regal, schaut man nicht auf den üblichen Buchrücken, sondern auf eine Spiralheftung, die 123 Seiten zusammenhält. In quadratischem Format, bedruckt mit einem Text, der ebenso viel Platz einnimmt wie er drumherum Freiraum lässt. Ein bisschen weniger Freiraum, dafür aber etwas größere Druckschrift, hätte die Publikation lesbarer gemacht, zumal auch die Überschriften nicht durch größere Druckschrift ins Auge springen. Da kommt der handgeschriebenen Untertitel, oder um 90° gedrehte Nebentitel »aus meinem Sudelbuch« dem Ganzen schon näher, das sind Aufzeichnungen,

Aphorismen und witzige Erklärungen, wie sie im 18. Jahrhundert schon Lichtenberg oder später auch Tucholsky verfasst hat, so auch jetzt Klaus Richrath, der angesehene, inzwischen emeritierte Professor für Städtebau an der Universität Karlsruhe, dem jetzigen KIT. Er überträgt aus seinem Sudelheft in diese neue Publikationsform »Glossen und andere aufrichtige Nacherzählungen über Architektur und Städtebau in einer Stadt am Oberrhein«, nämlich der eigenen, aus deren örtlicher Presse er die Beiträge über Bauplanungen der Stadt im letzten Jahrzehnt gesammelt hat und nun mit ironischen Bemerkungen und witzigen Einfällen zu utopischen Ideen und dem täglichen Schwarzbrot-Geschäft des Stadtplaners kommentiert; was natürlich umso leichter ist, wenn es unter den Fachleuten selbst keinen Konsens gibt, was unter Stadtplanung, Städtebau oder einer Stadt zu verstehen ist!

Nach einer abgedruckten Faschingsvorlesung von 1992 über die Gründung einer Welthauptstadt zur Einstimmung in den Tonfall beginnen die Geschichten nicht wie in der örtlichen Presse über die Buchvorstellung zu lesen war, mit Sottisen, sondern wie der Autor es abgemildert nennt, mit Glossen. Natürlich beginnt er, und muss es, mit dem Karlsruher Großprojekt, das in den letzten Jahren alle Gemüter kontrovers erregte, der U-Strab und der Ablehnung durch einen Bürgerentscheid., dem neuen Lösungsvorschlag durch den Oberbürgermeister als Gesamtpaket einer »Kombi-Lösung«! Drei Professoren versuchen zu vermitteln, mussten sich aber als »ausgewiesene Planungslaien« Inkompetenz vorwerfen lassen, und die Bevölkerung stimmte in einem zweiten Bürgerentscheid mit Mehrheit für die neue Lösung, ohne zu ahnen, was auf sie zukommt. Schnell waren daher die Zeitungen gefüllt mit Beschwerden! So beschäftigen sich die ersten 20 Seiten mit diesem Großprojekt, wobei nicht immer ersichtlich ist, was Presse- und Leser-Meinung ist und was die des Autors, wenn auch einige Zeitungsschlagzeilen in Anführungszeichen gesetzt werden.

Als nächster Knackpunkt steht auf dem Plan, ob Karlsruhe als Residenz des Rechts zu halten ist, wenn nicht das Bundesverfassungsgericht eine dringend notwendige Erweiterung an seinem angestammten Platz neben dem Schloss erhält - ohne den denkmalgeschützten Nachkriegsbau von Paul Baumgarten und den ebenfalls geschützten historischen Botanischen Garten zu beschädigen. Bei einem weiteren Großprojekt, der Nordtangente mit neuer Rheinbrücke, können Presseberichte und Autor nur resignierend feststellen, dass »nach einem halben Jahrhundert der unbefriedigende Status-quo wohl noch lange Zeit erhalten bleibt«.

Das nächste Großprojekt wird mit Hilfe der Fi- garo-Arie unter die Lupe genommen »Stadion neu, Stadion alt, Stadion hier, Stadion da«! Aber auch die kleineren Planungen nimmt der Autor augenzwinkernd unter die besagte Lupe, wie die unselige Straßenmöblierung durch Cafes, Restaurants oder Läden, weiter durch Werberollbilder, Automaten, Hinweisschilder jeglicher Art - bis hin zum Fahnenstangenwald der Grundrechte auf der Via triumphalis vor dem Schlossplatz! Vielleicht liegt vieles im Argen, meint der Autor, weil die Stadt sich über die letzten Dekaden berufsfremde Baubürgermeister leistet? Da ist es besonders fatal und wird von Fachleuten kritisch gesehen, wenn es ans Herz der Stadt, der Weinbrenner-Konzeption geht. Wurde schon die Anmeldung des Stadtgrundrisses als Weltkulturerbe bei der Unesco verspielt, so geht es dem Autor, jetzt nicht mehr augenzwinkernd, um die Veränderung von Weinbrenners Marktplatz. Dort wurden kürzlich die zur Kaiser- (früher Lange-) Straße gehörenden Nachkriegsbauten (zunächst eines, später das andere) abgerissen und durch eine sich klassizistisch gebärdende Platzwand mit hohen Betonbogen ersetzt - ganz entgegen der Intension von Weinbrenners Platz mit Straße, wobei immer zu prüfen ist, ob die gebaute Wirklichkeit die Intension des Architekten ist oder Änderungswunsch des Fürsten!

Auch beim Bahnhofsvorplatz ist es nicht gelungen, beide Betreiber, die Bahn AG und die Städtischen Verkehrsbetriebe, die auf den Strecken eine weltweit bewunderte Kooperation zustande brachten, dies auch an diesem Platz zu schaffen. So bleibt das »trostlose Bild« eines markanten Platzes wohl noch lange Zeit erhalten.

Was hat nun das Sammeln von Pressenotizen und Lesermeinungen sowie der eigenen gebracht? In einer Nachrede zieht er das Fazit auf einem Spaziergang durch 50 Jahre Architekturgeschichte und stellt fest: So widersprüchlich wie sich in den Presseausschnitten und Leserzuschriften die Ansichten über Architektur und Stadtplanung gezeigt haben, so ändern auch die Architekten ihre Meinung über diese »Rein in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln« nennt es der Autor. Der Rezensent hat ähnliche Erfahrungen gemacht: den Ausspruch Sullivans ,Form follows function hat man besonders in der Nachkriegszeit gehört, und der Autor ergänzt ihn noch durch den viel älteren von Francis Bacon »Houses are to live in, not to look at«, Grundsätze, mit denen vor allem die Nutzer der Gebäude gut leben können, für die ja schließlich gebaut wird. Beim Bau der Badischen Landesbibliothek z. B. drehte dann Oswald Matthias Ungers den Spieß um und vertrat die Meinung »In jede gute Architektur lässt sich jede Funktion auch gut integrieren«, mit der Folge, dass man dort das funktionale Element des Haupteingangs gegenüber dem Portal zu Weinbrenners Stephanskirche suchen muss und erst nach Durchschreiten eines langen, niedrigen Ganges versteckt an der Seite findet, so wie es Richrath kritisch beschreibt in seiner letzten Glosse als »Lieferanten-Eingang« zum repräsentativen Gebäude des Vierordtbades.

So gibt es viel zu kritisieren, und der Laie wird durch diese Geschichten vielleicht ein wenig das Gefühl bekommen, was Architektur will, wenn Städtebau und Stadtplanung dazu den Rahmen setzen. Mancher Architekt wird schmunzelnd diesen Weg durch die letzten zehn Jahre städtebaulichen Gestal- tens in dieser Stadt mitgehen. Die Verantwortlichen werden sich fragen, musste alles so geplant und gebaut und dabei auch zerstört werden in dieser Stadt des großen Baumeisters Weinbrenner? Eine neue Generation versucht das überkommene Erbe neu zu deuten, neu zu formulieren, es verändernd zu erhalten schrieb Prof. Schirmer 1977 im Katalog der Weinbrenner-Ausstellung. Es ist zu hoffen, dass die 2010 neugegründete Weinbrenner-Gesellschaft nicht nur ein waches Auge auf diese Erbschaft hat, sondern laut aufmerkt, wenn die Reste seiner Hinterlassenschaft misshandelt oder gar zerstört werden.

Eine lesenswerte Publikation mit mahnendem Hintergrund, die infolge ihrer privaten Herstellung vielleicht nicht in allzu vielen Bibliotheken zu finden sein wird!

Dr.-Ing. Rolf Fuhlrott

4/2011
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