Mit der Geschichte einer Landschaft ist das
so eine Sache; den Landschaftsnamen kennt man oft auch in großer
Entfernung; so hat man in Baden sicher vom »Alten Land« an
der Elbe gehört, wo genau es jedoch liegt, wissen die Wenigsten.
So ist es auch mit dem »Kraichgau«, die Badener wissen
es, so ungefähr, in Nordbaden, zwischen Rhein und Neckar
und/oder zwischen Odenwald und Schwarzwald. Schon werden die
Württemberger protestieren, liegt es doch zum Teil auch
in Württemberg, wenigstens dem früheren Königreich
Württemberg oder dem damaligen Regierungsbezirk Nordwürttemberg,
bis es nach heftigsten Diskussionen bei der großen Kreisreform
in den 70er Jahren der Regierungsbezirk Stuttgart wurde. An dieser
Situation hat sich auch nicht viel geändert, trotz der jetzt
dankenswerterweise vom Autor vorgelegten »Kleinen Geschichte«.
Diese ist genauso wenig übersichtlich wie die Landschaft
selbst, die der Autor einen Flickenteppich nennt, dessen genaue
geografische Abgrenzungen fast niemand kennt, dessen Einheit
im Bewusstsein der Bewohner in ihren Köpfen erst entstehen
muss. Darum bemüht sich der Heimatverein Kraichgau, vielleicht
auch der Landesverein Badische Heimat oder Einzelpersonen, wie
hier der Autor Thomas Adam.
In sisyphusartiger Kleinarbeit hat er alles aufgearbeitet und
aufbereitet, Geschichte und Kultur, Besiedlung und Lebensraum,
Kampf gegen feindliche Eindringlinge, Abgrenzung gegen Ansprüche
der Nachbarn, wie gesagt eine verdienstvolle Detailarbeit. Aber
was fehlt, ist der große Überblick und Zusammenhang.
Es fehlt vor allem ein kombiniertes Sach-, Orts- und Personenregister.
Ein Geschichtsbuch will nicht nur gelesen werden wie ein Roman,
durchgehend, es soll und muss auch als Nachschlagewerk dienen
und dazu braucht man ein Register. Wenn man wissen will z. B.
ob Siegelsbach oder Mühlacker im Kraichgau liegen oder bereits
außerhalb, braucht man es, wenn man wissen will, ob die
vergessene Dichterin Wilhelmine Maisch, wohnhaft in Adelshofen,
eine Kraichgau- erin ist, ebenso, und wenn man wissen will, ob
der Urmensch von Mauer diesseits oder jenseits der Grenze gefunden
wurde braucht man es genauso, wie auch eine Karte, wenn man den
Verlauf des namensgebenden Kraichbachs verfolgen will! Beides
ist ein dringendes Desiderat und sollte bei einer Neuauflage
eingefügt werden.
Aber deshalb sollte diese Besprechung nicht ins Negative gleiten,
besonders weil der Rezensent auch ein wenig eifersüchtig
auf diese Landschaft mit ihrer uralten Besiedlung schaut. Galt
doch lange Zeit einer seiner Ahnen als der Entdecker des ältesten
Menschen der Menschheit, des Neandertalers, als er diesen 1856
im Tal der Düssei fand. Dieses Privileg wurde ihm nun Anfang
des 20. Jahrhunderts streitig gemacht, als man 1907 im eben genannten
Mauer südöstlich von Heidelberg einen noch älteren
Fund machte, dem man den kurpfälzischen Namen »Homo
Heidelbergensis« gab und nicht nach dem eigentlichen Fundgebiet »Kraichgau-Mensch«!
Aber vielleicht liegt das daran, dass Mauer gar nicht im Kraichgau
liegt! Wer weiß das schon so genau?
Aber Scherz beiseite, damit beginnt das Werk, mit dem Urmenschen
und zieht sich hin über die Besiedlung und Bewirtschaftung
durch Bauern, die Entstehung der Herrschaftsgebiete, Streitigkeiten
und Kriege bis zum letzten und dann danach die Einteilung der
Sieger bis zur großen Gebietsreform und Entstehung der
Bundesländer. Das Ganze mündet dann ein in die Hoffnung,
zumindest das Bewusstsein für die Einheit der Landschaft
mit ihren Natur- und erbauten Schönheiten unter dem Titel
des Schlusskapitels »Vom Finden und Erfinden einer Heimat«.
Das Buch kommt gerade zur rechten Zeit, da überall das Bewusstsein
stärker wird, die regionalen Eigenheiten herauszustellen
und in einen größeren Verbund einzubinden wie das
Zabergäu in Baden-Württemberg oder die Landesvereinigung
Baden in Europa (nächstes Jahr 20 Jahre alt). Ein lesenswertes
Buch, wie gesagt, kein Nachschlagewerk, das sicher in vielen
Stadt- und Landesbibliotheken zu finden sein wird.
Dr.-Ing. Rolf Fuhlrott |