Rezensionen


 

Bernard Wittmann: Die Geschichte des Elsass - Eine Innenansicht. Morstadt-Verlag, 2009 395 Seiten; 90 Abbildungen 34,90 €
ISBN 978-3-88571-350-0

Der elsässische Regionalpolitiker, Journalist und Ingenieur Bernard Wittmann (Jahrgang 1948) legt eine detaillierte, mit vielen Quellen belegte Geschichte des Eisass der letzten 140 Jahre vor. Der Titel »Die Geschichte des Eisass - eine Innenansicht« (Originaltitel: »Une Histoire de l’Alsace, autrement«) weist darauf hin, dass diese Landesgeschichte aus einem bestimmten Blickwinkel gesehen wird. Der Autor vermittelt, dass er ein militanter »Autonomist« ist, der sich für das Recht der Elsässer auf eine eigene Kultur, Sprache und Selbstverwaltung einsetzt.

Wittmann beschreibt, wie sowohl die französische Zentralregierung als auch Deutschland je nach ihren Möglichkeiten versuchten, das Eisass nach ihren Vorstellungen umzugestalten. Die Auseinandersetzungen der Bevölkerung mit der jeweiligen »Obrigkeit« wird aufgezeichnet. Im ganzen Buch verwendet der Autor für die Französischen Regierungen (dritte, vierte und fünfte Republik) die Bezeichnung »Jakobiner« und bezeichnet Frankreich als »jakobinischen Staat«, wohl wissend, dass man dieses Epitheton mit Schreckensherrschaft, Terror und Guillotine verbindet.

Nach einer Zusammenfassung der elsässischen Geschichte seit dem 8. Jahrhundert vor Chr. erscheint das erste Kapitel der vorliegenden Arbeit: »Das Eisass kehrt zum Deutschen Reich zurück«. Der rechtsrheinische Leser, der das Bismarcksche Kaiserreich nicht unbedingt für die großartigste Erfindung hält, zuckt zusammen. Man erfährt, dass zwar 15% der Bevölkerung nach 1871 das Land verlassen mussten, die meisten anderen aber »ein neues, goldenes Zeitalter« erlebten. 1913/14 waren französische Nationalisten so beunruhigt, »dass sie in einem erneuten deutschfranzösischen Krieg die letzte Möglichkeit zu sehen begannen, die einstige Ostprovinz für Frankreich zurückzugewinnen«.

Das Buch zeigt, wie nach den fehlgeschlagenen Versuchen in den Jahren 1918/19, einen selbständigen Elsass-Lothringischen Staat zu schaffen, die Bevölkerung im Eisass in zwei Lager gespalten wurde. Da waren zum einen die »Assimilationisten«, die versuchten, sich mit der französischen Zentralregierung zu arrangieren. Frankreich strebte auch in Elsass-Lothringen eine Trennung von Staat und Kirche an und versuchte Sonderrechte der Region zu beschneiden. Auf der anderen Seite gab es die heimattreuen »Autonomisten«, angeführt von den klerikalen Parteien, den Kirchen und den Kommunisten. Sie wollten eine weitgehende Autonomie ihres Landes. Die Kommunisten wurden daraufhin von den Sozialisten der SFIO als »Herz- Jesu-Kommunisten« lächerlich gemacht.

Während der Zwischenkriegszeit entwickelte sich ein Teil der »Autonomisten« und »Heimatrechtler« zu einer stark vom Nationalsozialismus beeinflussten Bewegung, die über den Einmarsch der Hitlerarmee nicht ganz unglücklich war. Der deutsche Überfall auf die neutralen Staaten Niederlande, Belgien, Luxemburg und Frankreichs Niederlage wird folgendermaßen thematisiert: »Die Umgehung der Maginot-Linie durch die deutschen Soldaten bewirkte überraschend schnell den völligen Zusammenbruch der französischen Streitkräfte.«

Dass die »Jakobiner« in Paris eine Gruppe von au- tonomistischen Elsässern vor der Besetzung durch die Deutschen in »Nanzig« (Nancy) in ein Internierungslager steckten, wird als große Ungerechtigkeit gesehen. Diese »Nanziger« wurden aber nach ihrer Befreiung durch die Wehrmacht mit leitenden Posten entschädigt.

Elsässer in einflussreichen Positionen versuchten, die Schrecken der Jahre nach 1940 zu mildern, und retteten durch Gespräche mit Leuten wie Staatsminister Otto Meißner in Berlin oder Gauleiter Robert Wagner vielen ihrer Landsleute das Leben. Im Kapitel »Germanisierung und Entwelschung: Die Bilder gleichen sich« werden die Verfehlungen der »französischen Jakobiner« und die der deutschen Nazis einander gegenübergestellt. Es handelt sich um eine Relativierung der Nazi-Herrschaft.


In der Betrachtung der Zeit nach 1945 wird auf die »Epuration« (Entnazifizierung) Bezug genommen. Ausführlich werden die Gräuel und die Brutalitäten im »Strafzentrum Struthof« und im Lager Schirmeck beschrieben. »Die Personen, die Uniformen und die Sprache wechselten; der Geist, die Methoden des Konzentrationslagers blieben«. So der Chronist.

Der Rezensent bedauert, dass die Geschichte des KZ Natzweiler-Struthof für die Zeit vor 1945 nicht ausführlicher dokumentiert wurde und verweist auf die Forschungsarbeit von Professor Robert Steegmann aus Straßburg.

Die »Autonomisten« bemühten sich nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem darum, im Eisass und in Lothringen die Deutsche Sprache und das Elsäs- serditsch zu bewahren, eine zweisprachige Region zu schaffen und die Kultur von Elsass-Lothringen zu retten, was vom »Jakobinischen Staat« Frankreich mit allen Mitteln zu verhindern versucht wurde.

Zum Schluss gibt das Buch einen Einblick in die Entwicklung der Parteien und Organisationen im Eisass in den letzten Jahren. Der Autor verschweigt auch nicht die Erfolge des Front National von Jean- Marie le Pen.

»Die Geschichte des Eisass - Eine Innenansicht« ist ein lesenswertes und aufschlussreiches Werk. Man lernt, das Eisass mit anderen Augen zu sehen.

Otto E. Hofmann

1/2011
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