In den letzten Jahren ist erfreulicherweise ein verstärktes
Interesse an heimatgeschichtlicher Literatur festzustellen, dazu
gehört unbestritten auch der Ländliche Raum. Gerhard
Henkel, emeritierter Professor für Humangeographie und Nestor
der Dorfforschung, beschreibt in verständlicher Sprache
das deutsche Dorf und hat das vorliegende Werk mit dem schlichten
Titel »Das Dorf: Landleben in Deutschland – Gestern
und heute« überschrieben. In der allgemeinen Literatur
wird das Dorf als »mehr oder weniger geschlossene, vorwiegend
bäuerliche Siedlung auf dem Lande«, beschrieben bzw.
definiert. Um es gleich vorwegzunehmen: Bei einem Umfang von
346 Seiten kann eine Besprechung allein schon aus Platzgründen
diesem gewichtigen Werk nicht gerecht werden. Was fasziniert
die Menschen am Dorf? Ist es die Nähe zur Natur und das
Leben mit den Jahreszeiten? Ist es die Schönheit der in
Jahrhunderten gewachsenen Kulturlandschaft ? Die Überschaubarkeit,
die Ruhe und das scheinbar einfache Leben? Ist es die Dichte
der sozialen Beziehungen oder das Festhalten an Traditionen und
alten Werten? Das vorliegende Buch beschreibt und erklärt
das heutige Dorf, seine Strukturen, seine gesellschaftspolitische
Bedeutung und seine Menschen. Um die Gegenwart besser zu verstehen,
werden die gravierenden Veränderungen seit dem Mittelalter
skizziert. Der Abschnitt »Kulturlandschaft « behandelt
die Einbettung in die Landschaft , die Vielfalt der Dorf- und
Flurformen. Neben der Siedlungsgeschichte gibt die die Arbeit
aber auch Einblicke in die Flur-, Rechts-, Orts-, Wirtschaftsund
Sozialgeschichte der Dörfer. Der Autor beschreibt das alte
Dorfhandwerk, den modernen ländlichen Mittelstand, Tourismus,
Infrastruktur und die Grundversorgung. Er verschweigt dabei keineswegs
die Verluste der letzten Jahrzehnte in denen Läden, Post
und Schule immer mehr aus den Dörfern verschwanden, informiert
vom Trend zum Pendlerdorf, aber auch von Gegenmodellen, wie Dorfläden
und Dorfgenossenschaft en. Bei der historischen Betrachtung steht
der Wandel des Dorfes von 1950 bis heute im Mittelpunkt. Die
Vielfalt des Landlebens wird in diesem Band ausführlich
dargestellt: der Wirtschaftsraum und die Bevölkerung, die
kulturellen, sozialen, baulichen und ökologischen Werte – und
nicht zuletzt geht es um die Behandlung des Dorfes durch die
große und kleine Politik. In dem Werk von Gerhard Henkel
hat die Kirche ebenso Platz, wie die Vereine, die Jagd wie die
dörflichen Genossenschaft en, die die Grundversorgung zu
sichern versuchen. Wer über das Dorf schreibt, versucht
die Quadratur des Kreises.
Es gibt mehr als 35 000 deutsche Dörfer und: keines gleicht
dem anderen. Damit jedoch nicht nur das typische Dorf zur Geltung
kommt, werden mehrere hundert Dorfbeispiele aus allen Teilen
Deutschlands angeführt und beschrieben und auch viele ihrer
Bewohner kommen zu Wort. Die Bilanz des Rückblicks zeigt
eher Verluste als Gewinne; die Verbundenheit und Liebe zum Dorf
zehrt von dem, was übrig geblieben ist, während ein »Zukunftsbild« gänzlich
fehlt. Es bleibt die Frage, ob die Gegensätze »Land
und Stadt« noch tragfähig ist, zumal die Übergänge
fließend geworden sind. Was sind die Vorzüge eines
Buches, das Aussichten hat, für viele Jahrzehnte sich in
dieser Sparte das Prädikat »Standardwerk« zu
verdienen? Es muss nahezu alles umfassen, klar gegliedert und
systematisch strukturiert sein, dabei Wichtiges vertiefen und
Nebensächliches bestenfalls streifen, illustriert und auch
für den Laien leicht verständlich sein.
Alle diese Punkte hat der Autor auf insgesamt 346 Seiten in
60 Beiträgen festgehalten. Gerhard Henkel hat eine filigrane
und äußerst wertvolle historische Arbeit vorgelegt,
die das Thema nicht aus den Augen verliert. Besonders hervorzuheben
sind die Bild- und Fotovorlagen, die allen Beiträgen Anschaulichkeit
und Lebendigkeit verleihen. Das handliche Buch, das Maßstäbe
setzt, kann den mit Fragen zur Entwicklung des Dorfes und allen
in diesem Bereich historisch Interessierten uneingeschränkt
empfohlen werden.
Das Buch wird seinen Wert und Platz behalten: als fundierte
und informative Bilanz über die Entwicklungsgeschichte der
Dörfer in Deutschland. Die Arbeit verdient große Anerkennung
wegen ihrer Bestandsaufnahme in einer sich rasch ändernden
Welt; sie ist eine Dokumentation von bleibendem Wert, sowohl
für das Fachpublikum als auch für den interessierten
Laien.
Elmar Vogt |