Rezensionen

Frank Engehausen: Kleine Geschichte des Großherzogtums Baden 1806–1918. G. Braun Buchverlag Karlsruhe 2005, 208 S., 14,90 €.

Der Titel ist irreführend. Wie der Verfasser im Vorwort schreibt, ist „die Schwerpunktsetzung einseitig: Es geht im Folgenden nicht um sozial-, wirtschafts- oder kulturgeschichtliche Probleme der badischen Geschichte des 19. Jahrhunderts, sondern um die Entwicklung des politischen Systems im Großherzogtum.“ Nun kennt man die Crux einer Reihe von „Kleinen Geschichten“, wo eben auf schmalem Raum meist differenzierte Vorgänge erzählt und nicht einfach chronikal aufgezählt werden sollen. Erinnert man sich an eine andere Reihe, z. B. die des Heinrich Scheffler Verlags vor 40, 50 Jahren, wo bei gleichem Umfang die Geschichte Englands, Spaniens, Rußlands und anderer Staaten publiziert wurden, dann wundert man sich über eine solche Einseitigkeit. Die Geschichte Frankreichs von Friedrich Sieburg bei Scheffler zu lesen, ist auch heute ein Genuss. Von den Galliern angefangen bis de Gaulle mit einer dreiseitigen kritischen Literaturangabe, einem Register samt Bildtafeln auf 195 Seiten, das ist eine Kunst der Raffung bei gleichzeitiger stilistischer Brillanz, mit Quellenzitaten und anregenden Kapitelüberschriften durchsetzt. Da wird weder die Wirtschaft noch die Welt der Künstler und Dichter ausgespart.

Nun ist die vorliegende Publikation großzügig gedruckt, sehr handlich und sympathisch im Format, mit zahlreichen Abbildungen und grauseitigen Tableaus aufgelockert, ein Buch, das man gern zur Hand nähme, wenn es etwas mehr böte. Wollte d. Verf. sich von der „Geschichte Badens“ (1992) des Freiburger Historikers Wolfgang Hug unterscheiden, der für die Geschichte des Großherzogtums rund 120 Blätter, freilich bei größerem Seitenumfang, benötigt? Engehausen beginnt bei der Entstehung des neuen Badens alsbald mit der Verfassung von 1818 und verknüpft dieses besondere Ereignis wie auch 1848 und 1870 mit der bundesdeutschen Entwicklung. Dabei wird die liberale Sonderstellung Badens sehr deutlich und das Ringen in diesem Prozess in vielen Einzelheiten anschaulich geschildert. Wer diesen sucht einschließlich einer Parteiengeschichte oder Grundsätzliches zu einer konstitutionellen Monarchie, findet hier zuverlässige Informationen. Aber kann man die Geschichte einer Partei ohne Rückkoppelung an die gesellschaftliche Entwicklung verdeutlichen? Wieso wuchs die Sozialdemokratie Badens im letzten Drittel so stark an, ohne dass man von der Industrialisierung dieses Landes etwas erführe?

Der Heidelberger Kulturhistoriker Eberhard Gothein zitierte um 1890 seinen Lehrer Wilhelm Dilthey, dass es Aufgabe der Geschichte sei, das „Hervorbringen menschlichen Geistes“ zu verstehen. Daher schloss er: „Eine ausschließliche politische Geschichtsschreibung, die nur das Staatsleben behandelt, kann dieser Aufgabe nicht gerecht werden.“ Kann man Baden im 19. Jh. zutreffend charakterisieren ohne auf die Verstädterung hinzuweisen, den Wandel des ländlichen Raumes, die Wachstumsfaktoren, die Lage der Arbeiterschaft? Hug schafft das bei fast gleichem Umfang, und da werden auch noch Personen charakterisiert, die bei Engehausen nur blass erscheinen. Die Großherzogin Luise z. B. wird in einem Nebensatz erwähnt, doch jeder kennt die Bedeutung des Badischen Frauenvereins, der eine patriachalische Alternative zur sozialen Frage war und die Atmosphäre in diesem südwestdeutschen Land prägte. Zudem wird für den Laien die Verfassungs- und Parteiengeschichte schnell trockenes Politikwissen. Wenn man landesfremden Studierenden oder zugereisten Nichtbadenern die Herkunft dieses Landes erklären will, müßte man weiter greifen. Liberalität ist nicht nur eine Verfassungsfrage, sie ist eine humane Lebensform. Und mehr Leben wünschte man sich selbst in „Kleinen Geschichten“

Leonhard Müller

3/2005
   

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