Rezensionen

 

Helmut Reinalter (Hrsg.) Die Anfänge des Liberalismus und der Demokratie in Deutschland und Österreich 1830-1848/49. Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle "Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850", Bd. 32, Peter Lang Frankfurt/M., Wien, 2002, 365 S., 51,50 Euro

Der Herausgeber, Professor für Geschichte an der Universität Innsbruck, ist der rührige Leiter dieser Forschungsstelle, die hier Vorträge einer internationalen Tagung 1997 zu einem Thema vorlegt, zu dem eigentlich alles gesagt zu sein scheint, wenn man z. B. an die Publikationen von Gall, Langewiesche, Nipperdey oder Wehler denkt. Dass es dennoch neue Forschungsakzente gibt, zeigen verschiedene Beiträge von insgesamt sechzehn. So betont Hans Fenske (Freiburg) die Wichtigkeit einer Dissertation von Uwe Wilhelm über die "Wurzeln und Anfänge der deutschen Liberalismus", ein Begriff, der nach Gall jeweils "einer präzisen Definition" bedarf. Wilhelm selbst untersucht in seinem Beitrag erneut Werke von Gottlob Justi, Gottfried Achenwall, Friedrich v. Pfeiffer u. a. und kommt zu dieser Schlussbetrachtung: der deutsche Frühliberalismus im 18. Jahrhundert folgte nicht einfach der Aufklärung, sondern stellte eine eigene Richtung dar, stand schon vor der Französischen Revolution, deren Anstoß er nicht bedurfte, in voller Blüte. Diese Schriften von freien Schriftstellern oder Professoren, vorwiegend im norddeutsch-protestantischen Raum angesiedelt mit dem Zentrum Göttingen, hatten einen "genuin^politischen Charakter" und ihr Einfluss weitete sich rasch auf Süddeutschland aus. Die liberalen Vorstellungen, so Fenske, waren keineswegs auf die Führungsschicht begrenzt, sie waren "eine Geistesmacht von Gewicht schon vor 1789". Zwar votierte man für die konstitutionelle Monarchie, wollte aber erst den Bildungsstand der Bevölkerung heben, bevor man Wahlen für sinnvoll hielt. Ein anderer Freiburger, Rainer Schimpf, hat die liberale Zeitschrift "Der Freisinnige" zum Thema und den Kampf der badischen Liberalen für die Pressefreiheit 1831/32. Nach der Zeit der Karlsbader Beschlüsse und ihren Zensurbestimmungen war dieses Pressegesetz das liberalste Deutschlands, und der "Freisinnige" aus Freiburg, bei freilich kurzer Erscheinungsdauer, zeigte, dass er einen erheblichen Beitrag zur Politisierung der Bevölkerung leistete. Die Praxis des Gesetzes war ein Ausdruck "der inneren Reformfähigkeit des Großherzogtums."
Ein weiteres Thema mit badischen Akzenten schneidet Manfred Mayer an: "Das konstitutionelle Deutschland und der Westen. Tradition und Wandel nationaler Konzepte in Südwestdeutschland 1830-1848". Er beschreibt den Zwiespalt zwischen der Neigung zum revolutionären Frankreich wie dem angelsächsischen Verfassungsdenken und dem beginnenden Nationalgefühl. 1830 - das war noch das Jahr, das in Südwestdeutschland ganz zu 1789 gehörte. "Die Liberalen wollten . . . nichts anderes als die Errungenschaften der großen Französischen Revolution in Deutschland verwirklichen, und zwar mit Frankreich." Doch auf dem Hambacher Fest 1833 prallten schon "die möglichen Einstellungen der Nationalbewegung zur Frage eines Bündnisses der freien Nationen aufeinander" und bis 1848 wuchs "in Zeiten vehementer Identitätsunsicherheit" das Nationalgefühl. Gervinus, Professor in Heidelberg, einer der tonangebenden Liberalen, warnte 1846 vor einer "unkontrollierten Weiterentwicklung in die demokratische Richtung", sprich Revolution, und forderte: "Kriege sollten nicht nur nicht gefürchtet,
sondern wenn die krankhafte Materie steigt... sogar gesucht werden, um den gewaltsamen fieberhaften Blutandrang nach dem Kopfe abzuleiten". Und andere Liberale konstatierten gemäß dieser Maxime, "dass ein Krieg an der Grenze besser ist als ein Krieg zu Hause", wobei hier ein Krieg gegen ein reaktionäres Rußland gemeint ist. D. Verf. faßt zusammen: 1830/32 wurde in Südwestdeutschland letztmalig versucht, eine Nation nach französischem und amerikanischen Muster zu bilden. Mit den 1840er Jahren beginnt dagegen die Reichsgründungszeit.
Die anderen Aufsätze bieten ähnliche interessante Einblicke wie z. B. W. Seidel-Höppner "Zum Demokratieverständnis der deutschen Arbeiterbewegung vor 1848" oder J. Höppner "Weibergemeinschaft - Frauenemanzipation im Diskurs der deutschen und französischen Sozialisten der 1849er Jahre" und weitere mehr. R. Hoedes Beitrag "Zur Geschichte der Heppen-heimer Versammlung vom 10. Oktober 1847" trägt den Untertitel "über den Sinn, vermeintlich abgenagte Knochen auszugraben". Der Gedankenreichtum dieser Aufsatzsammlung zeigt, dass der Vormärz sicher noch nicht zu den "abgenagten Knochen" gehört.

Leonhard Müller

2/2004
   

siehe auch:

zurück:

Startseite Surfin' Süden | Startseite Badische Heimat | Rezensionen | Register | Impressum | zur ZUM | © Badische Heimat 2005