Rezensionen

 

Hans-Joachim Heilmann: Wenn die Stunde schlägt. Schillinger-Verlag Freiburg, 2002. 9,50 €. ISBN 3-89155-279-3.

Wer kennt nicht Ernest Hemingway's "For Whom the Bell Tolls" - "Wem die Stunde schlägt". Der Titel eines neuen Buches lässt aufhorchen: "Wenn die Stunde schlägt...". Und das Thema schlägt kräftig an, klingt lange nach.
Ärmlich sind die Verhältnisse, in denen Benedikt Fehrenbach vor mehr als drei Jahrhunderten aufwuchs, in Waldau, im Schwarzwald - im "Jahrhundert der Kriege": Die Schrecken des "Dreißigjährigen Krieges" waren nicht vergessen, nun kamen die "Franzosenkriege": 90% der Schwarzwalddörfer wurden zerstört, über 1000 zählten die Eroberer selbst in ihrer "Erfolgsbilanz". Der Krieg und seine Gräuel, seine hemmungslose Gewalt wurden auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen, aber Ludwig XIV. stabilisierte eben die "Rheinlinie". Die Waldauer waren abhängig vom Kloster St. Peter: "Die Österreicher legten dort Feuer an, weil sich die französischen Soldaten hier verbarrikadiert hatten". Viel "Zeitgeschichte", zuverlässig berichtet: "Du kannst das alles nur verstehen, wenn du die Zusammenhänge kennst". Die Landesherren mussten wieder "peuplieren", auch der St. Petriner Abt, bei dem der Waldauer Knecht Johannes (sein jüngster Bruder, der "Hofengel", wird den elterlichen Hof erben!) um ein Stück Rodungsland bat; sein kleiner Sohn Benedikt erlebte die Szene: "Bisher hatte ich niemals wahrgenommen, dass er (der Vater) stotterte und in einem so unterwürfigen Ton sprach". Ein problematisches Gefüge von Herrschaft und Untertänigkeit.
Johannes Fehrenbach bekam seine kleine Startchance, verpflichtete sich zu Abgaben und Frondiensten, schuftete für das Überleben, arbeitete zusätzlich als Glasträger. Und der Sohn nutzte verwandtschaftliche Beziehungen, ein Onkel hat sich Lesen und Schreiben beigebracht: Benedikt ließ sich in die Schreibkultur einführen, seine Vorlage: das "Vater unser".
Aber um 1660 hatte sich im "Glashof" in Waldau eine Sensation ereignet: "Ein Glasträger aus der Gegend, der im Rheinland unterwegs war, hat von dort eine Uhr auf den Hof mitgebracht". Der Glashofbauer baute sie nach, ganz in Holz - und sie lief. Und der Bauer fand Nachahmer, die die Vorlagen auch veränderten, verbesserten, statt Waagbalken Pendel einsetzten, dem Zeiger für die Stunden auch den Minutenzeiger folgen ließen, Einzelteile durch Metall ersetzten. Und: "Durch einen kleinen Blasebalg, der mit zwei Pfeifen verbunden ist, ruft der Holzvogel dann auch noch ,Kuckuck'"!
War bislang - aber es war in vielen Schwarzwalddörfern auch noch gar nicht lang her - der Tagesrhythmus durch die Kirchenglocken angesagt worden, nun gab es den Zeitmesser in immer mehr Schwarzwaldhöfen, wo jetzt die Stunde schlug, die Uhr die "hora" anzeigte. Und diese neue "Industrie" zog in wenigen Generationen immer weitere Kreise: "Es ist unfassbar. Bis nach Russland, zur Zarin Elisabeth, reisten sie mit unseren Uhren".
Der Autor nennt sein Buch einen "historischen Roman", aber betont mit vollem Recht, dass er sich dabei orientiert hat an konkreten Biographien und an der bekannten Geschichte von Waldau. Und er hat so ein authentisches Bild geliefert vom stillen sozialen Wandel im Schwarzwald, der herausführte aus großer Not zu wachsendem Wohlstand; die Geschichte der Schwarzwalduhr zählt zu den besonderen Erfolgsele menten. Hier lesen wir eine Spzialgeschichte mit großer Linie und viele kleinen, wichtigen Details, die das Denken, das Leben, das Handeln der Menschen früherer Generationen beleuchten, nacherlebbar machen: "Geschichte kann man lernen. Erst wenn man sie nacherlebt, wird man sie auch verstehen". Der Autor zeigt viel psychologische Sensibilität für Dorf mentalität, auch wenn er selbst einräumt: " Wir kön nen uns an menschliche Emotionen, an Beweggründe und Überzeugungen vergangener Zeiten allerdings nur herantasten. Manches wird für immer ein Geheimnis bleiben".

Adolf Schmid

2/2003
   

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