Die
Ausstellung setzt einen Schwerpunkt auf Flucht und Vertreibung
deutscher Bevölkerung, der chronologische Rahmen ist jedoch
weiter gespannt: Bereits der Begriff "Jahrhundert der Vertreibungen"
macht deutlich, dass der Blick nicht auf das Ende des Zweiten
Weltkriegs verengt werden darf. Zwangsumsiedlungen und Vertreibungen
seit Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa werden exemplarisch
beleuchtet.
Die Besucher erfahren, dass Millionen von Menschen im 20.
Jahrhundert von Flucht und Vertreibung zu verschiedenen
Zeitpunkten und in unterschiedlichen Ländern betroffen waren.
Kriege und Konflikte schaffen immer wieder den Rahmen und
die Voraussetzungen für Vertreibungen und Flucht. Gleichzeitig
wird das individuelle Leid deutlich, das damit für die einzelnen
Menschen verbunden ist.
Flucht
und Vertreibung
Die Wechselausstellung verdeutlicht, dass Flucht und Vertreibung
deutscher Bevölkerung am Ende des Zweiten Weltkriegs die
zahlenmäßig größte erzwungene Bevölkerungsverschiebung des
Jahrhunderts war. Zahlreiche Einzelbeispiele führen dies
vor Augen: Zeitzeugen schildern in aktuell für die Ausstellung
geführten Interviews ihre Erfahrungen nicht nur während
Flucht und Vertreibung, sondern ihre Lebensläufe bis in
die Gegenwart. Eine Ausstellungseinheit ist dem "Mythos
Gustloff" gewidmet. Ein sowjetisches U-Boot versenkt bei
der Evakuierung nach Westdeutschland am 30. Januar 1945
die "Wilhelm Gustloff". Schätzungen gehen von bis zu 10.000
Passagieren aus, von denen die wenigsten gerettet werden
konnten. Der Untergang des Schiffes steht exemplarisch für
die Rezeption dieses Themas in den Medien.
Einen weiteren biografischen roten Faden bilden die "Lebenswege":
Der Besucher kann mit Hilfe einer Codekarte an drei Stationen
in der Ausstellung Einzelheiten zum Schicksal eines Flüchtlings
oder Vertriebenen abfragen. Zur Auswahl stehen den Besuchern
"Lebenswege" von 150 Personen, die das Haus der Geschichte
in den vergangenen Monaten befragte.
Ankunft
und Integration
Teile einer Baracke des ehemaligen Flüchtlingslagers Furth
im Wald und Einrichtungsgegenstände symbolisieren die Situation
der Flüchtlinge und Vertriebenen in der neuen "Heimat".
Viele befinden sich in einer dramatischen Lage. Krankheiten,
mangelhafte Versorgung und schlechte Unterbringung bestimmen
den Alltag. Auch die Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung
sind Thema der Ausstellung.
Politische Plakate machen deutlich, dass mit der Spaltung
Deutschlands auch eine Veränderung für die Flüchtlinge und
Vertriebenen einsetzt. In der Sowjetischen Besatzungszone
und später der DDR wird diese Bevölkerungsgruppe euphemistisch
"Umsiedler" genannt und dieser Wortgebrauch von der SED
zwingend vorgeschrieben. Ab 1950 tauchen Flüchtlinge und
Vertriebene auch unter dieser Bezeichnung nicht mehr auf
selbst in den Statistiken wird dieser Begriff offiziell
getilgt.
Ein Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf dem schwierigen
und vielschichtigen Integrationsprozess von Flüchtlingen
und Vertriebenen in der Bundesrepublik. Die Ausstellung
zeigt Erfolge wie auch Schwierigkeiten beim wirtschaftlichen
Eingliederungsprozess und beleuchtet die Probleme im konfessionellen
Bereich, wenn erstmalig seit mehreren hundert Jahren katholische
oder protestantische Gläubige in Gebieten ankommen, die
fast ausschließlich von der jeweils anderen Religionsgemeinschaft
bewohnt werden. Prozessionskreuz und Kirchenglocke sind
herausragende Einzelobjekte, die diese Entwicklung veranschaulichen.
Lastenausgleichsakten, ein Flüchtlingspass und andere Dokumente
weisen ausführlich auf die staatlichen Hilfen für Flüchtlinge
und Vertriebene sowie die große Zahl der Betroffenen hin.
In der Bundesrepublik Deutschland entsteht aus Einheimischen
und Neuankömmlingen ein neues Gemeinwesen. Für den Erfolg
der Eingliederung sind viele Faktoren von Bedeutung: staatliche
Hilfe ebenso wie Eigeninitiative. Die wirtschaftliche, soziale,
politische und gesellschaftliche Integration der Flüchtlinge
und Heimatvertriebenen verläuft für jeden Einzelnen je nach
Herkunft, Alter und Bildungshintergrund unterschiedlich.
Auch die Selbstorganisation dieser Bevölkerungsgruppe in
Verbänden sowie Formen öffentlicher und musealer Erinnerung
werden beleuchtet. Stellvertretend hierfür stehen Teile
einer sogenannten "Heimatstube" aus Köln, die zahlreiche
Erinnerungsobjekte von Breslauern präsentiert.
Kooperation
und Konfrontation
Der Ausstellungsrundgang endet mit einem Ausblick auf die
aktuelle Situation vor allem zwischen Deutschland und Polen
sowie der Tschechischen Republik. Kooperationsprojekte in
Wissenschaft und Kultur sind Gegenstand der Wechselausstellung
wie die zum Teil heftigen öffentlichen Debatten in Polen
und Deutschland über Entschädigungsleistungen oder das "Zentrum
gegen Vertreibungen". Eine Vielzahl von Exponaten und Filmdokumenten
machen deutlich, dass dieses Thema seit den 1990er Jahren
wieder verstärkt in der Öffentlichkeit diskutiert wird.
Auch die Ergebnisse der Studie "Flucht und Vertreibung aus
Sicht der deutschen, polnischen und tschechischen Bevölkerung",
die das Haus der Geschichte im Vorfeld der Ausstellung beim
Institut für Demoskopie Allensbach in Auftrag gegeben hatte,
werden vorgestellt. Im Ausgang öffnet die Ausstellung den
Blick auf das aktuelle Weltgeschehen: Flucht und Vertreibung
sind bis heute globales Schicksal für Millionen Menschen.
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