Schwerpunktthema

Archäologie

 

Mithras oder die Präzession der Äquinoktien

Museumsbesuchern wohlbekannt sind die Mithrassteine von Neuenheim (im Kurpfälzischen Museum), von Ladenburg (im Reiss-Museum) oder von Osterburken (im Badischen Landesmuseum Karlsruhe). Die klassische Mithras-Interpretation ging bisher von einer Deutung des Kults als Furchtbarkeits- und Erlösungsreligion aus. Das Opfer des Stieres befruchtete die Erde, was sich an den Bäumen zeigte, die aus dem Felsen sprossen, oder an den Ähren, die sich aus dem Schwanz des Stieres bildeten.

Diesem Geschehen wohnte Universalität inne: Der Löwe steht für das Feuer, das Mischgefäß für das Wasser, die Schlange für die Erde. Dem Sonnengott (Sol) entspricht in der rechten oberen Ecke die Mondgöttin (Luna). Die beiden Begleiter des Mithras, Cautes an der rechten Seite mit erhobener Fackel, Cautopates an der linken Seite mit gesenkter Fackel, verkörpern Licht, Leben und Erlösung, andererseits Finsternis, Tod und Verdammnis.

Nun gibt es eine neue Interpretation dieses Bildes, die im Grunde auf Porphyrius (234 - ca. 305 n. Chr.) zurückgeht. Er schrieb: „Als Schöpfer und Herr der Genesis hat Mithras seinen Platz in der Region des Himmels-äquators." Und Hipp-archos von Nizäa entdeckte um 128 v. Chr., dass sich die beiden Schnittpunkte der Bahn der Tierkreiszeichen (die Ekliptik) mit dem Himmelsäquator im Lauf der Jahrhunderte und Jahrtausende ganz langsam verschieben. Und diese Verschiebung des Schnittpunktes ist die Präzession der Äquinoktien.

Es mußte ein sehr mächtiger Gott sein, der für diese Präzession verantwortlich war.

Dem amerikanischen Forscher David Ulansey gelang es 1989, Archäologie und Astronomie zu vereinen und die Bilderwelt des Mithras als astronomischen Code zu entschlüsseln. 1996 rezensierte die Frankfurter Archäologin Ingeborg Huld-Zetsche sein Werk erstmals für ein deutsches Leserpublikum und veröffentlichte 1997 eine kleine Zusammenfassung seiner Thesen in den „Dieburger Heften". Jetzt ist Ulanseys bahnbrechendes Werk auch in deutsch erschienen.

Die Tötung des Stieres versinnbildlicht nach Ulansey das Zeitalter des Stieres, das Mithras durch dessen Tötung beendet, denn das Sternbild des Stieres ist dasjenige, das die Frühlings-Tag-und-Nacht-Gleiche um 2000 v. Chr. verließ. Alle Sternzeichen, die die Sonne auf ihrem Weg von der Frühlings- zur Herbst-Tag-und-Nacht-Gleiche durchmißt, sind auf den „typischen" Mithrasbildern vereinigt: Skorpion, Löwe und Wassermann (versinn-bild-licht durch das Wassergefäß), dazu Rabe und kleiner Hund.

Mithras ist der Weltenbeherrscher, dem es gelingt, die gewöhnlich als fest angesehene Ordnung von Erde und Himmel zu bewegen, in diesem Fall die sog. Präzession hervorzurufen, nach der sich im Lauf der Jahrtausende die Äquinoktien verschieben. Seine Stellung als Weltbeherrscher, als Kosmokrator, zeigt sich in seinem Sternenmantel und in dem Bild, das seine Geburt darstellt. Die beiden Begleiter des Mithras, Cautes an der rechten Seite mit erhobener Fackel, Cautopates an der linken Seite mit gesenkter Fackel, tragen in anderen Darstellungen Stierkopf und Skorpion und können daher als Symbole für die Tag-und-Nacht-Gleichen im Frühling und Herbst angesehen werden.

Und das Zeitalter des Wassermanns beginnt dann, wenn die Frühlings-Tag-und-Nacht-Gleiche ins Sternbild des Wassermanns tritt.


Ulansey, David: Die Ursprünge des Mithraskults. Übersetzung: Aus dem Englischen von Gabriele Schulte-Holtey. Stuttgart: Theiss, 1998. ISBN: 3-8062-1310-0 DM 39,80

Rezension der Originalausgabe von Ingeborg Huld-Zetsche in Germania 74, Mainz 1996.

Ingeborg Huld-Zetsche: Mithras als astronomischer Code. Dieburger kleine Hefte 10. 1997


Nachrichten & Notizen 3/98

siehe auch:

Mithras-Kult


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